Rettungskreuzer Ikarus Band 012 - Verschollen im Nexoversum
höheren Rang in der Hierarchie
einnehmen. Alles, was sie mitteilen können, sind daher nur Märchen,
Vermutungen und Gerüchte. Wenn es uns gelingt, Imasen zu erreichen, werden
wir dort mehr erfahren – davon bin ich überzeugt.«
»Du willst unbedingt nach Imasen«, bemerkte Jason.
»Du etwa nicht?«
»Schon, aber nicht mit so viel Ungeduld wie du. Ist alles in Ordnung? Als
du mit Skytha nach Joran gefahndet hast, bist du auch –«
»Ich weiß, was du sagen willst.« Shilla seufzte. »Mir geht
es gut, mach dir keine Sorgen. Sie sind überall zu spüren,
und da ich jetzt weiß, dass ihre Präsenz unbestreitbar einen
Effekt auf mich hat, bin ich vorsichtig. Außerdem gibt es mehrere logische
Gründe dafür, rasch nach Imasen aufzubrechen: Wenn das Auftauchen
eines Angeli tatsächlich ein sehr seltenes Ereignis ist, wird sich unsere
Ankunft schnell herumsprechen. Wir stellen so was wie eine kleine Sensation
dar. Je länger wir uns auf Reputus aufhalten, umso größer wird
die Gefahr, dass wir einen Fehler begehen und entlarvt werden. Trotz aller Ergebenheit
und Bewunderung macht sich vielleicht doch jemand die Mühe, uns zu überprüfen.
Und vergiss nicht, verfügen die Angeli über dieselben telepathischen
Fähigkeiten wie wir Vizianer, dann wissen sie sofort, dass wir Fremde sind.
Je früher wir die notwendigen Informationen erhalten und nach Hause finden,
desto besser für uns ... für uns alle.«
Obwohl Jason mit dieser Entgegnung nicht ganz zufrieden war, ließ er das
Thema einstweilen fallen. Shilla war durcheinander, und es gab keinen Grund,
dass er ihr noch mehr zusetzte. Allerdings würde er sie nicht aus den Augen
lassen. Irgendetwas von dem, das sie gesagt hatte, gefiel ihm nicht, doch er
kam nicht darauf, was ihn störte.
Mist, dachte Jason. Wieder hatte sich keine Gelegenheit ergeben, reinen Tisch
zu machen. Seit sie sich im Nexoversum befanden, hatte er mit ihr reden wollen,
über sie, über sich ..., über sie beide. Doch immer war etwas
dazwischen gekommen, war der Augenblick ungünstig gewesen, und Jason gestand
sich ein, dass er insgeheim sogar dankbar gewesen war, dass er aufs neuerliche
eine Ausflucht gefunden hatte, das Gespräch aufzuschieben. Niemandem hatte
er je anvertraut, was ihm vor Jahren zugestoßen war und ihn zu dem geformt
hatte, der er heute war ... Es waren Erinnerungen, die er tief in sich vergraben
hatte, die er nicht mehr an die Oberfläche seines Bewusstseins hatte dringen
lassen wollen. Vielleicht würde Shilla entsetzt vor ihm zurückschrecken
... Davor, gestand er sich ein, fürchtete er sich am meisten.
Bedauernd blickte Jason sie von der Seite an. Shilla beobachtete die Anzeigen
auf ihrem Monitor und bemerkte es nicht. Ihre sonstige Sensitivität für
ihn war ... verschwunden. Die Vizianerin drohte, ihm zu entgleiten, und er war
völlig machtlos.
Was hatte sie vorhin gesagt? Plötzlich wusste Jason, was ihn an ihren Worten
irritiert hatte: »Oder soll ich irgendeinem armen Teufel das Gedächtnis
aussaugen?« Das Gedächtnis aussaugen.
Nie hatte Shilla solche Worte verwendet. Auch ihre Fähigkeiten hatte sie
stets behutsam und diskret eingesetzt, wenn es sich nicht hatte vermeiden lassen.
Es schwang etwas Düsteres und Bedrohliches in diesem Satz.
Jason hatte schon Menschen gesehen, denen das Gedächtnis ausgesaugt worden war. In seinen Gedanken tauchten die Gesichter von Frauen und Männern
auf, die Opfer von inhumanen Experimenten skrupelloser Wissenschaftler geworden
waren. Folter, Psychodrogen, Gehirnlobotomie und was sich die sadistischen Forscher
sonst noch hatten einfallen lassen – fast jeder der Gemarterten war nach
der Behandlung zu einem Idioten geworden. Abadoon war die Hölle gewesen
... Und Joran ...
Jason verdrängte die furchtbaren Bilder aus seinem Geist. Würde er
die Vergangenheit nie hinter sich lassen können? Würde er erst Ruhe
finden, wenn Joran und seine Handlanger für ihre Verbrechen bestraft worden
waren? Wenn die tödlichen Lager auf Abadoon dem Erdboden gleichgemacht
worden waren?
Das Gedächtnis aussaugen. Konnte Shilla das? Konnte die Telepathin
... war sie wirklich zu etwas Derartigem fähig?
Eine Gänsehaut überzog plötzlich Jasons Haut.
Commander Charkh saß regungslos in seinem Sessel. Die langen Beine hatte
er bequem gefaltet. Allein zwei Punktaugen richteten sich als Zeichen für
seine Aufmerksamkeit auf Sessha.
Die
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