Rettungskreuzer Ikarus Band 017 - Das Anande-Komplott
keine Ruhe finden.
Heute Vormittag hatte es Hwang Thang die Information zukommen lassen, dass Ulrich
Self zur Zeit des Verbrechens nicht auf St. Salusa war, und es hoffte, dass
der Anwalt etwas damit anfangen konnte. Dies war eine Art unausgesprochener
Deal – Ay würde den Mann seiner Wahl mit dem Wissen füttern,
dessen es habhaft wurde, und konnte sich im Gegenzug sicher sein, dass es nach
dem Prozess ein exklusives Interview und Hintergrundinformationen für einen
ausführlichen Bericht bekommen würde. Es war ein Vertrag ohne jede
schriftliche Grundlage, doch keiner brach die Regeln. Je mehr Ay herausfinden
konnte, desto umfangreicher würde sein eigener Gewinn zum Schluss sein.
Abgesehen davon begann die Sache immer interessanter zu werden.
Als es draußen dämmerte, stieß Ay auf einen Namen, der ihm
bisher nicht untergekommen war. Das wäre bei einem Konzern von der Größe HSMs nicht ungewöhnlich, wenn es sich nicht um einen Artikel aus
einer halb konzerninternen Fachzeitung zur feierlichen Verabschiedung eines
langjährigen Mitarbeiters gehandelt hätte. Anscheinend hatte es den
üblichen kleinen Empfang gegeben mit den üblichen Lobreden, dem üblichen
unnützen vergoldeten Abschiedsgeschenk ... Ay dachte daran, dass seine
Vorfahren ihren verstorbenen Ahnen Gaben darbrachten, damit sie bloß nicht
zurückkamen, und fragte sich unwillkürlich, ob das bei den Menschen
ähnlich war – nur schon zu Lebzeiten. Der Arzt, der dort so aufwändig
in seinen Ruhestand entlassen wurde, hieß Doktor Norton. Auf dem Holobild
war neben dem hageren, extrem freundlich lächelnden älteren Mann auch
Perusko zu sehen, was Beweis genug dafür war, dass es sich bei ihm nicht
um einen kleinen Angestellten gehandelt haben konnte.
Es gab keinen wirklichen Grund für die plötzliche Nervosität,
die Ay angesichts des Artikels beschlich. Es sah das Bild von Doktor Norton,
und seine Nickhäute zogen sich unwillkürlich über die Augen,
das Lächeln des Mannes biss den Kilesen förmlich in seinen journalistischen
Nerv. Ay richtete sich auf und aktivierte die herkömmliche Computersuche,
fütterte sie mit dem Namen des pensionierten Arztes und allen verfügbaren
Daten, lehnte sich dann zurück und wartete.
Es dauerte nicht lange, bis der Reporter wusste, dass Doktor Norton ein sonderbares
Schattendasein im Konzern geführt hatte. Er schien keinen wirklichen Vorgesetzten
gehabt, aber auch keine eigene Abteilung geleitet zu haben. Kein einziges Forschungsprojekt
wurde in Verbindung mit seinem Namen genannt, und doch war der Doktor fast fünfundzwanzig
Jahre lang bei HSM angestellt – und seine Qualifikationen bewiesen,
dass er weit mehr war als der Hausarzt für kleinere Wehwehchen. Im Gegenteil,
in allen Berichten aus der Zeit vor HSM – so auch in der Abschlusspublikation
der Universität, die im Allgemeinen der »Ärzteolymp« genannt
wurde, pries man seine chirurgischen Fertigkeiten als ausgezeichnet und überdurchschnittlich.
Die entscheidende Frage stand ungesagt im Raum: ausgezeichnet genug? Überdurchschnittlich
genug? Lange genug ein Vertrauter der Konzernspitze, um Dinge zu erledigen,
die weit jenseits der Legalität waren? Skrupellos genug, um einem Kollegen
das Gehirn auszubrennen?
Ay wusste, dass es hier nichts weiter würde herausfinden können, denn
es hatte keine Möglichkeiten, an geheime Daten des Konzerns zu kommen oder
direkt auf St. Salusa zu recherchieren. Aber es kannte jemanden, der vielleicht
die notwendigen Mittel hatte.
Noch bevor die Sonne ganz aufgegangen war, wurde Hwang Thang von dem Signalton
seiner Kommanlage geweckt.
5.
Die geheime Aufzeichnung begann erst, als Roderick Sentenza bereits auf dem
Zeugenstuhl Platz genommen hatte. Fast erwartete Botero, dass Prinz Joran knurren
oder sein Glas gegen den Monitor werfen würde, als das Gesicht seines verhassten
Gegenspielers dort überlebensgroß erschien. Diesmal war die Perspektive
perfekt – selbst ihr Spion hätte nicht gewagt, gerade dieses Verhör
aus einer der hinteren Reihen des Saales aufzunehmen. Auch der Ton war gut –
Gregor von Bussevs Stimme dröhnte deutlich durch den Raum.
»Der Captain eines Rettungskreuzers des Raumcorps zu sein, ist unzweifelhaft
eine sehr verantwortungsvolle Position«, führte er gerade aus. »Nicht
vergleichbar damit, einen Schlachtkreuzer des Multimperiums zu kommandieren,
das stimmt. Aber
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