Rettungskreuzer Ikarus Band 017 - Das Anande-Komplott
hätte, cholerisch, unzuverlässig oder drogensüchtig
zu sein – Sie vielleicht? Wie jeder Arbeitgeber muss ich mich auf meinen
Instinkt verlassen. Und der hat mich bei Doktor Anande nicht getrogen. Ich könnte
mir keinen zuverlässigeren, engagierteren, aufrichtigeren und fähigeren
Arzt für die Ikarus wünschen.«
»Warum hat sich Anande mit seinen Fertigkeiten von Ihnen anwerben lassen?«,
fragte von Bussev weiter und ignorierte die letzten Worte Sallys. »Für
einen schlecht bezahlten Job auf einem technisch minderwertigen Rettungskreuzer
unter der Leitung einer gescheiterten Existenz?« Er warf einen kurzen Blick
in Richtung der Zeugenbank und ließ damit offen, ob er McLennane als in
Ungnade gefallene Leiterin der Abteilung oder den damals noch alkoholkranken
Sentenza meinte.
Sally sah, wie die Richterin sich vorbeugte, um den Anwalt zur Zurückhaltung
zu ermahnen, aber sie warf der Vorsitzenden einen raschen Blick und ein professionelles
Lächeln zu und schüttelte leicht den Kopf. Sie war sich sicher, dass
diese kleine, diplomatische Geste von einer der herumschwirrenden Kameras aufgezeichnet
worden war und vielleicht ihren Weg in einen Bericht finden würde.
»Doktor Anande hat natürlich einerseits aus beruflichem Interesse
zugestimmt«, antwortete sie sachlich. »Die Arbeit an Bord eines Rettungskreuzers,
selbst eines › technisch minderwertigen‹ , bietet jeden Tag Möglichkeiten,
die Fertigkeiten eines Arztes optimal und effektiv einzusetzen. Die von Ihnen
angesprochenen Hunderten von Verletzten und Kranken, denen die Ikarus geholfen hat, könnten das sicherlich bezeugen. Andererseits«, räumte
sie dann ein, »war Doktor Anande in einer finanziellen Notsituation. Er
hatte keine Wohnung, keinen nennenswerten Besitz, keine Arbeit und aufgrund
seiner fehlenden Erinnerung auch wenig Chancen, auf St. Salusa eine neue Beschäftigung
zu finden. Die Rettungsabteilung gab ihm einen Job und die Möglichkeit,
sich ein neues, produktives und angesehenes Leben aus dem Nichts heraus aufzubauen.
Es ist kein Makel, Herr von Bussev, in seinem Leben zu scheitern. Es kommt darauf
an, was man danach daraus macht.«
»Schön, wenn man so verzeihend sein kann, Frau McLennane. Aber hier
geht es nicht um eine kleine Familientragödie oder einen Drogenmissbrauch.
Es geht um ein Kapitalverbrechen, um Mord an einem ungeborenen Wesen, um die
Verletzung von Rechten, die alle intelligenten Völker gemeinsam haben.
Ist es dann auch egal, was war, solange man danach als ein ›guter Mensch‹
weiter lebt?«
Sally erwiderte den provokanten Blick des Anwaltes frostig.
»Darüber zu entscheiden ist nicht meine Aufgabe, sondern die des Gerichtes.
Ich wusste nichts von einem Verbrechen, und ich kann wohl mit ziemlicher Sicherheit
sagen, dass Doktor Anande davon auch keine Ahnung hatte. Was für mich zählte,
waren die bekannten Fakten. Und ich habe es nicht bereut, mich für Doktor
Anande entschieden zu haben.«
Der Vertreter der Anklage hatte nichts mehr zu sagen und die Befragung durch
Hwang Thang war kurz und reibungslos. Thang, der den Hang seiner ehemaligen
Gefährtin zu zielgerichteten Veränderungen von Wahrheiten kannte,
hatte ihr geraten, diesmal davon Abstand zu nehmen, und sie hatte sich dazu
bereit erklärt. Dies war sein Spielfeld, und er kannte die Regeln besser.
Also blieb sie bei dem, was sie ihm und allen anderen gegenüber als Wahrheit
ausgegeben hatte – nur ihr alter Freund Losian sowie Doktor Ekkri von Vortex
Outpost wussten, dass ihr einige der Hintergründe von Jovian Anande bereits
bekannt gewesen waren, als sie ihn eingestellt hatte. Aber damals hatte es sie
wenig gestört, und heute würde es keinem nützen, wenn sie darauf
hinwies.
Mit geschickt abgesprochenen Fragen und Antworten, die an einigen Stellen gerade
so viele Missverständnisse und zögerliche Momente enthielten, um nicht
einstudiert zu wirken, bestätigten Thang und McLennane das bisher Gesagte
und zeichneten ein positives und aufrichtiges Bild des heutigen Anande.
Die Vorsitzende hatte keine weiteren Fragen, und somit wurde die Verhandlung
für diesen Tag beendet. Sally McLennane warf Anande, der heute sehr blass
wirkte, einen Blick zu. Doch der Arzt der Ikarus ging aus dem Saal, ohne
sich nach irgendjemandem umzusehen.
»Du machst Dich also auf dem Weg nach St. Salusa?«
»Ja. Jetzt ist meine Anwesenheit bei Gericht nicht mehr
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