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Rettungskreuzer Ikarus Band 030 - Held wider Willen

Rettungskreuzer Ikarus Band 030 - Held wider Willen

Titel: Rettungskreuzer Ikarus Band 030 - Held wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylke Brandt
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Alfars Augen
langsam nachließen, war sein Gehör ausgezeichnet. War doch schon
jemand auf? Es war so ungewöhnlich, dass er zu dieser Stunde Gesellschaft
hatte. Oder war es nur ein Tier, das sich in Hoffnung auf ein kleines Frühstück
in Richtung der Küche aufmachte? Geduldig wartete Bruder Alfar ab, dann
sah er in einem Durchgang am Ende des Ganges einen Schemen, der sich gegen den
heller werdenden Himmel dahinter abhob. Unwillkürlich runzelte der alte
Mönch die Stirn. Da seine Sehkraft nachließ, hatte er sich angewöhnt,
die meisten seiner Brüder und Schwestern an ihrem Gangbild zu erkennen.
Die Gestalt, die sich mit raschem Schritt vor ihm bewegte, kannte er nicht.
Das war bei der Größe des Tempels nicht verwunderlich, doch trotzdem
irritierte ihn etwas an der Art der Bewegung. Sie wirkte falsch. Nicht menschlich,
auf jeden Fall. Es war etwas Plötzliches, Ruckhaftes daran, wie der Fremde
den Kopf drehte und der Rücken schien gekrümmt zu sein, jedoch nicht
vom Alter. Sonderbar. Natürlich gab es viele Brüder und Schwestern,
die keine Menschen waren, oftmals nicht einmal Humanoide. Aber dieser hier?
Hatten sie Gäste, von denen er nichts wusste?
    Der Fremde merkte nicht, dass jemand ihn beobachtete und verschwand in den Schatten
des nächsten Gebäudes, ehe Bruder Alfar sich schlüssig werden
konnte, ob seine Augen ihm einen Streich spielten. Mit einem leichten Kopfschütteln
machte sich der alte Mann wieder auf den Weg. Er war einfach zu neugierig. Was
ging es ihn an, wer ebenso wie er am frühsten Morgen hier unterwegs war?
Er war ja kein Fedayin. Es würde schon alles seine Richtigkeit haben. Neugierde
war, so sinnierte Bruder Alfar, vermutlich seine schlimmste Sünde. Aber
es fiel ihm so schwer, nicht zu schauen, nicht zu lauschen – wie er mit
Beschämtheit zugeben musste, als er an die gestrige Szene im Scriptorium
dachte –, und sich keine Gedanken zu machen. Und er war eindeutig zu alt,
um jetzt noch zu versuchen, sich zu bessern.
    Über sich selbst amüsiert wollte der Mönch die Nebentür
zur Kapelle öffnen, als er noch einmal den Blick über den Innenhof
gleiten ließ, den mittlerweile ein sanftes Zwielicht erfüllt. Dort,
in der Mitte des kleinen Gartens, schien etwas zu liegen. Auf diese Entfernung
konnte Alfar nur einen unförmigen Haufen ausmachen, aber er war sich sicher,
dass das Objekt nicht dorthin gehörte. Wieder ein Streich von Prior Tobias
unbedachteren Schutzbefohlenen? Vielleicht sollte er dann rasch nachsehen und
den Prior warnen, ehe alle anderen etwas zu Gesicht bekamen, was den armen Vorsteher
des Hauses der Schüler in Verlegenheit bringen konnte.
    Alfar trat auf den schmalen Kiespfad, der in die Mitte führte, und schüttelte
über sich selbst den Kopf. Da war es schon wieder. Neugierde. Ein leichtes
Lächeln spielte um seine dünnen Lippen.
    Aber es erstarb, als er sich dem näherte, was dort im Hof lag. Und wich
einem tiefen Gefühl des Entsetzens.
    Ausgestreckt auf dem Rücken, die Arme und Beine leicht gespreizt, lag da
ein junger Mann, offensichtlich einer von Prior Tobias' Schülern. Es gab
keinen Zweifel daran, dass er tot war. Sein Gesicht war bleich und leer, bis
auf einen gefrorenen Ausdruck des Schmerzes. Einer der Arme lag in einem sonderbaren,
unnatürlichen Winkel, sicher war er gebrochen. Das kuttenähnliche
Nachthemd war an mehreren Stellen zerrissen. Wenn der Junge noch lange genug
gelebt hätte, wäre er mit blauen Flecken übersät gewesen,
denn der Tod war schwer und gewaltsam über ihn gekommen. Bruder Alfar,
der sich fassungslos mit kleinen Schritten näherte, sah unter den hochgerutschten
Ärmeln tiefe Kratzer auf den bloßen Armen des Toten, drei nebeneinander
wie eine Markierung oder die Spur einer seltsamen Waffe. Vielleicht hatte der
Junge sich gewehrt, als sein Mörder zu ihm kam, ihn aus dem Bett und seiner
Zelle zerrte.
    Erschüttert schwankte Bruder Alfar, streckte die Hand aus, ohne den Leichnam
zu berühren, und wusste für einen Augenblick nicht, was er tun sollte.
Beten? Alarm rufen? Er war zu schockiert für einen klaren Gedanken. Wer
konnte so etwas getan haben, auch noch innerhalb der Mauern dieses Heiligen
Gebäudes? Dann sah er im kalten Morgenlicht, dass Buchstaben auf die bleiche
Stirn des Jungen geschmiert waren, in grober Schrift und der Farbe nach mit
seinem eigenen Blut. Verklebte Strähnen hellen Haares verdeckten

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