Rettungskreuzer Ikarus Band 037 - Nemesis
Er würde eine ganze Weile
höchst autonom leben können, und diesen Vorteil gedachte er auch zu
nutzen. Weit weg von den bekannten Siedlungsstrukturen der Galaxis, möglichst
ins Unbekannte hinein – die Hairaumer waren diesbezüglich sehr leistungsfähig,
und vor allem dieses Schiff, ein besserer Kundschafter, war für Deep-Space-Missionen
bestens vorbereitet. Er würde eine Weile untertauchen, vielleicht ein paar
Jahre, und derweil Pläne schmieden.
Ihm würde schon was Passendes einfallen, um sich wieder Gehör in der
Galaxis zu verschaffen. Eilig hatte er es damit nicht.
Er war schließlich unsterblich.
Das gab auch einem derangierten Intellektuellen eine ganz neue Perspektive auf
seine Zukunft.
Dumdidum, dumdidum ...
Das Hangardeck der Admiral Giesa war frei geräumt worden und die
Fläche entsprechend umgebaut. Eine große Bühne, auf der die
Big Band der Pronth-Hegemonie allerlei leichtfüßige Tanzstücke
aufführte, eine fast zwanzig Meter lange Bar, hinter der Ordonnanzen des
Multimperiums und der Konföderation Anitalle Cocktails und andere Getränke
nach Wunsch ausschenkten, und schließlich ein mächtiges Buffet, das
versuchte, die kulinarischen Bedürfnisse aller rund zwanzig vertretenen
Spezies in diesem Saal zu befriedigen.
Unweit des Buffets standen Roderick Sentenza und Darius Weenderveen an einem
Stehtisch und starrten auf die Auswahl der dargebotenen Speisen. Beide trugen
die Ausgehuniformen des Raumcorps, die, wie alle Ausgehuniformen der Galaxis,
steif, ungemütlich und langweilig waren. Sie juckten natürlich auch.
Und es war unschicklich, sich zu kratzen.
Der Chefkoch der Giesa hatte zu Beginn der Feierlichkeiten in einem längeren
Vortrag die Auswahl des Buffets angepriesen. Kandierte melodanische Rippchen
vom Strock, marinierte Schlenzkutteln mit pikanter Blauschimmelsauce von Tridia
III, roher Joksrücken von Nau, gratinierte Sauerkartoffeln in heißer
Schlopfettsauce, eine erkleckliche Auswahl von Schluttnick-Konfekt, das es normalerweise
außerhalb ihres Heimatsystems in dieser Fülle nicht gab ...
Beide Männer hielten sich an ihren halb gefüllten Weingläsern
fest, als ob sie das Gleichgewicht verlieren würden, wenn sie losließen.
Bei Sentenza war es mehr das Bedürfnis, überhaupt etwas zu halten
und damit Aktivität vorzugaukeln, sein Glas enthielt nur Fruchtsaft. Sie
lösten ihren Blick von den kulinarischen Spezialitäten und Weenderveen
holte verstohlen einen Konzentratriegel aus der Brusttasche.
»Teilen?«, fragte Sentenza.
»Teilen«, erwiderte Weenderveen, riss den Riegel auf und brach ihn
in zwei Teile.
»Deiner ist größer«, klagte der Captain.
»Es kommt nicht auf die Größe an, sondern darauf, was man damit
macht«, erwiderte der Techniker. »Außerdem kannst du ihn ja
mit einer Portion gekochter Wamurhoden in Aspik runterspülen.«
Sentenza kaute den Riegel. Er genoss die stille Kameraderie, die ihn mit Weenderveen
verband. Es war in den letzten Wochen nicht alles leicht gewesen und sie waren
durchaus auch einmal aneinander geraten. Aber diese simple Geste allein und
der schal-abgestandene Geschmack der geteilten Trockennahrung genügten
bereits, um all das vergessen zu machen.
Ehe sie ihre Konversation wieder aufnehmen konnten, trat Sally MacLennane zu
ihnen. Die Direktorin trug ein konservatives Abendkleid in dezenten Farbtönen,
in dem sie aber trotzdem, wie Sentenza feststellen musste, eine erstaunlich
gute Figur machte. Sein Blick suchte unwillkürlich Sonja, die etwa hundert
Meter entfernt in ein angeregtes Gespräch mit drei sehr schneidig aussehenden
multimperischen Offizieren verwickelt war.
»Captain, Mr. Weenderveen«, begrüßte Sally sie beide. Darius
grunzte respektlos. Falls die Direktorin erwartet hatte, dass dieser nun höflich
den Rückzug antreten würde, um Sentenza mit ihr allein zu lassen,
hatte sie sich verrechnet. Es war keinesfalls so, dass der ältere Mann
nicht über die notwendigen sozialen Kompetenzen verfügte. Er ahnte
vielmehr, dass der Captain durchaus damit einverstanden war, wenn er jetzt blieb.
Niemand wollte ernsthaft allzu lange mit Sally alleine sein. Obwohl, wie Weenderveen
feststellen musste, die Direktorin in diesem Kleid ...
»Und? Zufrieden?«
Sentenza runzelte die Stirn. »Direktorin? Ich bin zufrieden, am Leben zu
sein, und ich bin froh, dass meine Crew dieses Schicksal mit mir teilt. Ich
bin zufrieden,
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