Rettungskreuzer Ikarus Band 042 - Gesandtschaften
Leitsysteme irgendeiner Art. Klar war nur, dass die
Technik den Eindruck machte, für die Ewigkeit konstruiert worden zu sein.
Es gab nichts Feines, nichts Empfindliches. Die massive Bauweise vermittelte
das seltsame Gefühl, jemand mit übergroßen Händen hätte
die Station zusammen gebaut und wäre nicht in der Lage gewesen, filigraner
zu arbeiten. Die Vorstellung hatte nichts Beruhigendes.
»Vor uns liegt eine große Halle.«
»Wir groß?«
»Sie nimmt ungefähr die Hälfte des gesamten Mondkörpers
ein.« Früher hätte Trooid ihnen die genauen Abmessungen der Halle
vermutlich in Kubikzentimetern gegeben, aber er hatte aus den verständnislosen
Blicken seiner Schiffskameraden gelernt, realisierte An'ta beiläufig. Je
ungenauer die Angabe, desto zufriedener schienen sie zu sein.
»Die Konstruktionshalle – wenn Weenderveen mit seiner Werfttheorie
Recht hat.«
»Wird er wohl. Die Ausmaße sind trotzdem...« Anande schloss
seinen Rucksack mit der gleichen Sorgfalt, mit der er einen Verband anlegen
würde, und drängte sich nach vorne, um ebenfalls durch die Frontscheibe
schauen zu können. Er kam rechtzeitig für das Panorama, das sich ihnen
bot, als sie den Zugangstunnel verließen.
Die Halle war so groß, dass man ihr anderes Ende im Dämmerdunkel
nicht einmal erahnen konnte. Doch selbst bei strahlendem Licht hätte das
Schiff in der Mitte den Blick auf alles versperrt, was dahinter lag. Das gewaltige
Konstrukt des Raumers füllte einen großen Teil der Werftanlage, und
es machte den Eindruck, als wäre es hinein gewachsen wie ein organisches
Ding. Ein Pilz vielleicht, der in der kalten Dunkelheit heran wuchs und jeden
Winkel auszufüllen versuchte.
Es war nicht nur dieser Vergleich, der in An'ta eine spontane Abneigung gegen
das Schiff auslöste, sondern auch das Fehlen jeglicher Symmetrie, jeglicher
Anmut oder Klarheit irgendwelcher Linien. Man konnte nicht mehr erkennen, welche
Schiffe den Kern des Ungeheuers bildeten, doch es mussten mehrere große
Raumer gewesen sein, Frachtschiffe vermutlich, Kreuzfahrtliner oder vielleicht
sogar ein gekaperter Schlachtkreuzer, den vermisst zu melden, keine Regierung
sich getraut hatte. Um diesen Kern herum waren weitere Schiffe montiert worden,
oder auch nur Teile von ihnen, in scheinbar völlig chaotischer Art und
Weise. Viele Schiffe.
Sehr viele.
»Das Ding wird nie irgendwo hin fliegen«, behauptete Anande, der den
gleichen Gedanken gehabt haben musste. Seine Stimme war leise, als müsste
er zu viel Energie für sein unablässiges Starren auf den riesenhaften
Koloss vor ihnen verwenden, und in ihr klang ein Hauch des Abscheus, den An'ta
selber fühlte. Es überraschte sie nur einen Moment lang. Wenn Anande
beim Anblick des Schiffes irgendwelche medizinischen Assoziationen hatte, waren
die mit Sicherheit nicht angenehm.
»Darauf würde ich nicht hoffen«, widersprach Trooid, der den
Blick kaum aus dem Fenster gerichtet hatte, sondern nur auf seine Instrumente.
»Es sieht chaotisch aus, aber es steckt Ordnung dahinter. Soweit ich das
beurteilen kann, ist der Raumer funktionsfähig.«
»Das glaube ich erst, wenn ich ihn in Bewegung sehe. Überhaupt, wie
will der hier aus der Werfthalle kommen?«
»Das werden wir in zwei bis drei Tagen erfahren.«
»So bald!« An'ta warf einen weiteren Blick aus dem Fenster, wie um
sich zu vergewissern, dass sie richtig gesehen hatte. »Wie können
die Infizierten innerhalb der letzten Wochen, ja, Tage , so ein Ding zusammen
geschweißt haben? Es werden ein paar Ingenieure und erfahrene Arbeiter
unter ihnen gewesen sein, aber die meisten haben sicherlich mit Raumschiffbau
nichts zu tun gehabt.«
»Ich vermute, es liegt an der Werft. Und es mangelt ihnen nicht an Arbeitern,
so wie es aussieht.«
Jetzt, wo sie näher an dem Schiff waren, sahen sie viele Leute, die auf
den gewölbten Flächen der Außenwand – eigentlich der zahlreichen
Außenwände –, unterwegs waren. Sie fügten noch immer weitere
Teile an, schweißten und klebten zusammen, was nicht zusammen gehörte,
und machten dabei tatsächlich den Eindruck, als ob sie wüssten, was
sie da taten. Mit langen Greifarmen und huschenden, tonnenförmigen Robotdrohnen
unterstützte die Werftanlage ihre Arbeiten.
»Keiner scheint hier Angst vor der Höhe zu haben«, kommentierte
Anande und zeigte auf vier Arbeiter, die durch ein Seilzugsystem etwas in Position
brachten,
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