Rettungskreuzer Ikarus Band 043 - Kasernenwelt
eine Ecke und wartete ab. An
Schlaf war nicht zu denken, zu sehr erfüllten ihn Aufregung, Hoffnung,
Vorfreude, aber auch Angst.
Als es an der Zeit war aufzubrechen, fühlte sich Lorik gleichzeitig müde
und aufgekratzt. Polgar, ein massiv gebauter Hüne, Nachkomme endloser Generationen
von Gutgelaunten und damit physisch für den bevorstehenden Kampf –
der nach Überzeugung der Schlechtgelaunten niemals kommen würde –
bestens gerüstet, stand bereit, schweigsam wie immer. Sein Vater war der
Administrator des Nahrungsknotens, in den sie einzudringen vorhatten, und aus
diesem Grunde verfügten sie über die Zugangscodes. Die Bewachung des
Knotens war oberflächlich, mehr Beschäftigungstherapie für Soldaten
in der Ausbildung, da man auf der Kasernenwelt bisher keinen Anlass hatte, interne
Feinde ernsthaft zu fürchten. Lorik war sich klar, dass diese lasche Haltung
sich durch ihr Eingreifen heute Nacht möglicherweise ändern würde,
doch er wollte dieses Risiko bewusst eingehen. Die Chance war einfach zu verlockend,
dem Elend ihrer Existenz hier endlich ein Ende setzen zu können.
Shmer war ebenfalls einsilbig, hatte alles eingepackt und wartete zusammen mit
den anderen auf Tonja. Diese kam etwas später, brachte dafür aber
noch zusätzliche Nahrungskonzentrate und Plastikflaschen mit Wasser. Lorik
nickte ihnen allen zur Begrüßung zu. Es wurden keine großen
Worte gewechselt. Sie hatten keinen ausgefeilten Plan erarbeitet.
Die Wanderung durch die nächtliche Kasernenwelt war bedrückend. Um
Energie zu sparen, war die Beleuchtung auf das absolute Minimum beschränkt,
und normalerweise waren die Straßen um diese Zeit auch ausgestorben. Nur
jene, die von den nächtlichen Schichten zentraler Versorgungs- und Überwachungsanlagen
nach Hause kamen oder zu diesen aufbrachen, benutzten die leergefegten, trostlos
da liegenden Verkehrswege. Hin und wieder zischte eine Monorail über die
Fahrbahn über ihren Köpfen, doch auch der öffentliche Transport
kam in der Nacht fast völlig zum Erliegen. Aufgrund der schwachen Beleuchtung
konnte man heute Nacht den klaren Sternenhimmel gut erkennen. Mit etwas Mühe
ließen sich die zahlreichen Satelliten ausmachen, die die Kasernenwelt
umkreisten. Ein guter Teil davon war nur noch Weltraumschrott, wie Lorik wusste,
und der Rest arbeitete mit minimaler Energie. Die einzigen Weltraumanlagen,
in die noch Energie gesteckt wurde, waren die Abräumroboter, die versuchten,
aus dem eigentlich bereits leergeplünderten System noch Rohstoffe zu bergen,
sowie die Defensiv- und Ortungsanlage auf einem der äußeren Monde,
die ständig nach neuen Rekruten oder, wer es glauben wollte, den Sammlern
Ausschau hielt. Als kleiner Junge, noch nicht seiner Andersartigkeit gewahr,
hatte Lorik davon geträumt, auf dieser Anlage Dienst zu tun, denn es kam
dem, was man auf der Kasernenwelt Abwechslung nennen konnte, am nächsten.
Als er gemerkt hatte, dass er immun und von anderen Immunen an die besonderen
Herausforderungen dieses Daseins herangeführt worden war, hatte sich dieser
Traum schnell aufgelöst. Und erst vor kurzem hatte er erfahren, dass die
Anlage sowieso voll automatisch lief und keinerlei Besatzung bedurfte. Seltsamerweise
hatte er sich erst dann richtig enttäuscht, ja, betrogen gefühlt.
Nur auf den zentralen Plätzen gab es Beobachtungskameras, wenngleich die
meisten davon nicht mehr funktionierten. Doch leider konnte man es den Anlagen
nur im extremsten Falle von außen ansehen, ob sie noch im Einsatz waren
oder nicht, also mussten sie so vorgehen, als würden sie alle noch voll
funktionsfähig sein. Sie drückten sich in den Schatten von Hauswänden,
vermieden die rare öffentliche Beleuchtung, so gut es ging, nahmen auch
kleine Umwege gerne in Kauf. So kamen sie zwar nur etwas langsamer voran, aber
dafür sicherer.
Es war kurz nach Mitternacht, als sie vor dem Nahrungsknoten ankamen. Normalerweise
herrschte hier tagsüber immer ein geschäftiges Treiben. Das große,
sternförmige Gebäude mit den insgesamt acht Zugängen in alle
Himmelsrichtungen diente dazu, die Bevölkerung dieses Stadtteils mit Konzentraten
zu versorgen. Je nachdem, wie weit man vom Knoten entfernt wohnte, konnte man
Tages-, Dreitages- oder Wochenrationen in Empfang nehmen. Die Konzentrate, von
den Fabriken in anderen Gebieten der Kasernenwelt produziert, wurden normalerweise
durch unterirdische
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