Rettungslos
Kanals, das in der Sonne glänzt und den Schilfgürtel und den blauen Himmel spiegelt. Ein idyllisches Stück Gelderland.
Senta steht im knöchelhohen Gras und kann es kaum fassen, dass sie hier vor ein paar Tagen um ein Haar ertrunken wäre. Sie überlegt, wie es wohl am Grund des Kanals aussieht, und schaudert.
»Alles in Ordnung?«, fragt Wenteling besorgt.
»Danke, alles bestens«, sagt sie rasch.
Er ist ein stiller Typ, kräftig gebaut, mit grauem Haar, buschigen Augenbrauen und einem gepflegten Vollbart.
»Aus dieser Richtung sind Sie gekommen.« Rob zeigt nach links, wo die StraÃe in mehreren Kurven verläuft. »Schon als ich das Motorengeräusch hörte, dachte ich: âºWie kann man bei diesem Wetter nur so schnell fahren?â¹ Ich trat an den StraÃenrand, und Sie sind vorbeigerast, wahrscheinlich ohne mich überhaupt
zu sehen. Kurz darauf hörte ich es klatschen und rannte sofort los. Sie waren ein ganzes Stück weiter die Böschung hinabgefahren, als ich dort ankam, war das Auto schon verschwunden, deshalb entdeckte ich nicht gleich die richtige Stelle. Anhand der Reifenspuren im Gras fand ich sie aber. Ich habe rasch die Schuhe abgestreift, den Notruf gewählt und bin dann ins Wasser gesprungen.«
Sie schweigen beide, den Blick auf die besagte Stelle gerichtet.
»Und dann?«, fragt Senta schlieÃlich.
Rob Wenteling erzählt weiter. Unter Wasser war es so dunkel, dass er das Auto nur deshalb ausmachen konnte, weil die Scheinwerfer noch brannten. Doch als er darauf zuschwamm, erloschen sie plötzlich, und wieder hatte er groÃe Mühe, sich zu orientieren. Das Auto sank schnell. Was sich in seinem Inneren tat, konnte er nicht sehen, allenfalls erahnen.
Mit ein paar kräftigen Zügen erreichte er den Grund des Kanals, wo das Auto Sekunden später aufkam.
Er schwamm um den Wagen herum und ertastete schlieÃlich die Kante der geöffneten Tür.
Zu seiner Erleichterung war es nicht schwer, Senta vollends aus dem Wagen zu ziehen, denn unter Wasser spielt das Gewicht ja keine Rolle. Ihm wurde jedoch langsam eng in der Brust.
Er legte den Arm um ihre Taille und begann, zur Wasseroberfläche zu schwimmen.
Die wenigen Meter zogen sich endlos in die Länge. Schwer keuchend tauchte er schlieÃlich auf und kämpfte sich mit ihr auf das Ufer zu. Er kletterte an
Land und zog dann mit viel Mühe Sentas schweren, schlaffen Körper aus dem Wasser. Trotz seiner Erschöpfung begann er sofort mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung.
»Ich war also nur kurze Zeit bewusstlos?«, fragt Senta.
»Unter Wasser ja, aber an Land kamen Sie nicht wieder zu sich. Zum Glück haben Sie nach einer Weile wieder selbstständig geatmet, auch wenn Sie nach wie vor ohnmächtig waren. Ich habe dann bei Ihnen gewartet, bis der Krankenwagen kam.«
Spontan nimmt Senta ihn in die Arme, und Rob legt tröstend die Hand auf ihre Schulter.
37
Nachdem sich Senta verabschiedet hat, fährt sie in die Richtung, aus der sie am Unfalltag gekommen ist. Langsam nimmt sie die Kurven der DeichstraÃe. Weshalb, um Himmels willen, ist sie am Montag so schnell gefahren? Sie ist höchst ungern bei Nebel unterwegs und fährt dann äuÃerst vorsichtig. Warum nicht auch an jenem Tag?
Ihr einziger Anhaltspunkt ist ein unbestimmtes Gefühl, das mit dem Haus aus ihrem Traum zusammenhängt.
Sentas Handy klingelt. Sie fischt es aus der Jackentasche, das Display zeigt Alexanders Nummer. Als sie abnehmen will, sieht sie plötzlich vor ihrem inneren Auge, wie sie mit hoher Geschwindigkeit die DeichstraÃe entlangfährt, das Telefon in der Hand.
Sie hält am StraÃenrand, erst dann meldet sie sich. »Ich sitze im Auto«, sagt sie statt einer BegrüÃung.
»Wie? Du fährst schon wieder Auto?« Alexander wirkt erstaunt und zugleich beunruhigt.
»Keine Sorge, mir gehtâs gut. Ich war vorhin am Unfallort.«
»Tatsächlich?!« Jetzt klingt er interessiert. »Und wie war das für dich?«
»Ein seltsames Gefühl, irgendwie unwirklich. Ohne die Reifenspuren im Gras wäre es ein Ort wie jeder andere.«
»Woher weiÃt du, dass es genau dort passiert ist?«
»Ich habe den Mann aufgesucht, der mich gerettet hat. Wir sind zusammen hingegangen, und er hat mir alles erzählt. Ich hatte wirklich Glück, Alexander, unglaublich groÃes Glück. Ohne Rob Wenteling hätte ich es nie
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