Rettungslos
x-ten Mal durchsucht sie akribisch den ganzen Keller und hofft, irgendwo eine vergessene Coladose oder Wasserflasche zu finden, notfalls auch Wein. Früher hatte sie hier Getränkekästen deponiert, doch seit sie auf der steilen Treppe stürzte und sich den Knöchel brach, stehen sie in der Garage, was sich als praktischer erwies, zumal Menno den Keller zu seinem Hobbyraum erkoren hatte. Er ist ein begeisterter Heimwerker, bei ihm zu Hause gibt es jedoch mangels Keller und Garage keinen Platz dafür. Einmal hatte er sogar unter ihrem Dach ein Kinderfahrrad repariert, das er gebraucht erstanden hatte und seinem ältesten Sohn zum Geburtstag schenken wollte.
Schmerzlich genau erinnert Lisa sich an den Tag, an dem sie erkannte, wie nahe Liebe und Hass doch beieinanderliegen. Damals wurde ihr klar, dass ihre Fantasie mittlerweile ein Eigenleben führte, das mit der Realität nichts mehr zu tun hatte.
Menno gehörte zwar zu ihr, aber nur teilweise. Der andere Teil war unverbrüchlich mit seiner Frau Monique verbunden. Lisa hatte zwar nach Kräften versucht, nicht emotional abhängig zu werden, trotzdem zog es ihr an jenem Tag, an dem sie begriff, dass er sich niemals ganz für sie entscheiden würde, den Boden unter den FüÃen weg.
Ein paar Wochen nach ihrer ersten Begegnung hatte er ihr gestanden, dass er verheiratet sei und seine Frau ein Kind erwarte. Dass er sie während der Schwangerschaft nicht im Stich lassen wollte, konnte Lisa gut
verstehen. Auch in der ersten Zeit nach Sams Geburt drängte sie ihn nicht, Monique zu verlassen. Jede freie Minute verbrachte er bei ihr, sie bedauerten beide zutiefst, sich nicht ein Jahr früher kennengelernt zu haben, und träumten von einer gemeinsamen Zukunft. Lisa hatte stets daran geglaubt, auch noch, als sein Sohn ein Jahr alt war. Erst als Monique erneut schwanger wurde, kamen ihr Zweifel. Sie machte Menno heftige Vorwürfe, weil er es so weit hatte kommen lassen. Sollte sie etwa eine erneute Schwangerschaft und noch etliche weitere Monate abwarten, bevor er sich von seiner Frau trennte? Trotz seiner flehentlichen Bitten und Versicherungen, er liebe nur sie, glaubte sie Menno nicht mehr und beendete die Beziehung.
Nächtelang weinte sie sich in den Schlaf, aber sie blieb stark: Sie wollte ihn nicht mehr wiedersehen.
Das änderte sich, als er ihr zwei Päckchen schickte. Im einen war ein hellblauer Babystrampler, im anderen ein rosafarbener. Er wolle ein Kind mit ihr, schrieb er, als lebenden Beweis, dass er sie liebe und nicht Monique.
»Wenn du jetzt deine Familie verlässt, bist du ein noch viel gröÃerer Schuft, als ich dachte«, schrieb sie zurück. »Für meine Kinder will ich etwas Besseres, und für mich selbst auch.«
Doch er lieà nicht locker, sie trafen sich wieder, und nicht lange danach stellte sie fest, dass sie schwanger war.
Anders als sie Kreuger erzählt hat, war die Zeit nach Anouks Geburt einfach fantastisch. Die Entbindung verlief völlig problemlos, sie litt auch nicht unter postnatalen
Depressionen, sondern schwebte wochenlang auf einer rosa Wolke. Und Menno war ebenso glücklich wie sie.
»Ich danke dir«, sagte er immer wieder und küsste Anouks dunklen Schopf. »Zwei Söhne habe ich schon, und jetzt hast du mir eine Tochter geschenkt! Sie ist so schön, Lisa, sieh doch nur!«
Sie hatte erst das Baby und dann Menno angeschaut und eine tiefe Liebe zu ihr und Anouk in seinen Augen gesehen. Nun war alles wieder gut.
»Ich trenne mich von Monique«, versprach er. »Unsere Ehe besteht nur noch auf dem Papier, vor allem seit ich dich kenne. Ich habe die ewigen Streitereien und ihr besitzergreifendes Wesen gründlich satt. Hab noch ein klein wenig Geduld, Lisa. Ich muss nur den richtigen Zeitpunkt finden, es ihr zu sagen. Und auf Sam und Tim muss ich auch Rücksicht nehmen.«
Lisa hatte Verständnis und lieà ihm Zeit. Doch als Anouk ihren ersten Geburtstag hatte, war alles noch beim Alten. Auch ein halbes Jahr später, als Lisa unverhofft Menno und seiner Familie begegnete.
Deshalb konnte sie sich mit Kreugers Geschichte durchaus ein Stück weit identifizieren. Mit der Bestürzung, der rasenden Eifersucht und dem Hass, den er empfand, als er seine Frau und die Kinder mit dem anderen Mann sah. Der unwiderstehliche Drang, sich zu rächen, zu töten. Er hatte diesem Drang nachgegeben, sie dagegen hatte innerlich die Bremse
Weitere Kostenlose Bücher