Revanche - Exposure
Finger vor die Nase.
»Drei Jahre.« Ruby nickte. »Was für ein großes Mädchen.«
»Gwacie großes Mädchen«, bekräftigte die Kleine. Für Unsinn immer zu haben und begeistert über die Zuwendung der Fremden, nutzte sie die Gunst des Augenblicks für eine kleine Darbietung. Sie patschte mit den Fingern auf ihrem Teller herum, grinste ihre neue Freundin dabei schelmisch an und trällerte fröhlich: »Backe, backe Kuchen!«
»Grace Melina!« Der Löffel knallte auf den Tellerrand, und schon packte Emma über den Tisch hinweg nach Gracies Handgelenken. Zog sie vom Teller weg und ermahnte die Kleine streng: »Große Mädchen matschen nicht in ihrem Essen herum, Chéri . Wie oft muss ich das noch sagen?« Kurz entschlossen tauchte sie die Serviette in ihr gefülltes Wasserglas und wischte ihrer Tochter die fettigen Finger ab. »Du isst mit der Gabel, verstanden? Sonst gibt es kein Dessert.« Emma blickte zu Ruby und zog eine bedauernde Grimasse. »Bitte entschuldigen Sie.
Manchmal lassen ihre Manieren ein bisschen zu wünschen übrig.«
»Das macht doch nichts. Ich habe selbst zwei Kinder. Beide inzwischen im Teeniealter, aber Kinder sind Kinder. Ich spreche aus Erfahrung.« Lächelnd nahm Ruby der Kellnerin den dampfend heißen Kaffee ab und lehnte sich zurück. Nachdem sie daran genippt hatte, stellte sie die Tasse ab und meinte mit einem Kopfnicken zu Grace: »Ein aufgeschlossenes, kleines Mädchen, nicht?«
»Leider gelegentlich zu aufgeschlossen«, räumte Emma seufzend ein. »Gracie mag einfach jeden. Und ich habe eine Heidenangst, dass sie irgendwann mit jemandem mitgehen könnte. Ich trichtere ihr zwar andauernd ein, sie soll nicht mit Fremden reden, trotzdem bin ich mir keineswegs sicher, dass sie nicht mit dem Erstbesten loszieht, wenn der ihr eine halbwegs überzeugende Geschichte auftischt.«
»Gwacie sagt nein«, beteuerte das Kind und spielte lustlos mit der Gabel in ihren Nudeln herum.
»Das weiß ich, Herzchen«, erwiderte Emma. Gleichwohl runzelte sie skeptisch die Brauen und wechselte das Thema. »Noch mal zu Ihrem Wagen«, meinte sie an Ruby gewandt.
»Es ist bestimmt nichts Weltbewegendes«, hob Ruby an. »Er braucht einen Ölwechsel und - na ja, Sie wissen schon - das ganze Drumherum, das bei einer Inspektion fällig wird.« Sie fuchtelte vage mit den Händen in der Luft herum, worauf Emma sie schief angrinste.
»Also Ölwechsel, Filterwechsel, Batterie- und Kühlwasserkontrolle, Bremsencheck?« Emma hatte nicht den Eindruck, dass Ruby eines dieser neuen Modelle mit elektronischer Anzeige fuhr.
»Ja, genau.« Ruby strahlte. »Der ganze Kram. Wie viel würden Sie mir dafür abknöpfen?«
»Kann ich so nicht sagen. Gibt es hier irgendwo einen Laden für Autoteile und -zubehör?«
»Mackey’s, das große Geschäft unten am Hafen, führt Ersatzteile.«
»Dann macht es« - Emma nannte eine Summe - »plus Material. Allerdings sind die Preise auf Inseln wie dieser oft doppelt so hoch wie auf dem Festland«, schränkte sie warnend ein. »Besser, ich schau mir den Laden morgen früh noch kurz an. Dann kann ich Ihnen Genaueres sagen und Sie wissen, worauf Sie sich einlassen.«
»Wenn Sie meinen«, antwortete Ruby achselzuckend. »Aber die Sache geht hundertprozentig klar. Bill würde mir nämlich dreimal so viel abknöpfen wie Sie.«
Ihr Ton süß wie Zuckerrohr und sanft wie eine Südstaatenbrise, gab Emma ihre Meinung über Bill und seine Geschäftspraktiken preis, worauf Ruby in schallendes Gelächter ausbrach. Emma ließ sich noch alle notwendigen Details wie Wagentyp, Baujahr und Modell geben, bevor ihre Pensionswirtin sich entschuldigte und wieder in Richtung Küche verschwand. Während Gracie ihr Dessert verputzte, klopfte ihre Mutter sich mental auf die Schulter, dass sie kurz davorstand, ihre Reisekasse aufzubessern. Wie auf Wolken schwebte sie mit Gracie in ihre gemietete Unterkunft.
Einem geregelten Job nachzugehen hätte sie sich freilich nie getraut. Zumal sie mit ziemlicher Sicherheit einen von Grants Spitzeln oder irgendeinen Privatdetektiv an den Hacken hätte, sobald ihre Sozialversicherungsnummer auf einem Gehaltscheck auftauchte. Daran zweifelte sie nicht eine Sekunde lang.
Grundgütiger, das galt es mit allen Mitteln zu verhindern.
Aber eine Inspektion von Rubys Wagen … das war fast so etwas wie ein Lottogewinn. Keine Sozialversicherungsnummer, die Grant zu ihr führte, stattdessen eine kleine, dringend benötigte Finanzspritze. Emma hob Gracie hoch und wirbelte
Weitere Kostenlose Bücher