Revanche - Exposure
Bücher im Raum verteilt. Hoffnungsvoll blickte sie zum Eingang und dann enttäuscht zu ihrer Mutter. »Wo ist denn dieser Mann, Maman ?«
»Sheriff Donnelly ist in sein eigenes Zimmer gegangen, Herzchen. Komm, zieh den Schlafanzug an.«
Gracie kletterte brav aufs Bett, und Emma begann, ihr die Sachen auszuziehen. »Will er denn nicht Cinderella hören?«
»Ich glaube nicht, dass er eine Gutenachtgeschichte für kleine Mädchen hören möchte«, antwortete Emma. Sie stellte Gracies Schuhe beiseite, öffnete die Schnallen von ihrem OshKosh-Overall und streifte ihn herunter. Zog ihr das winzige, am Hals gerüschte T-Shirt über den Kopf. »Und, musst du noch mal, Süße?«
»Öh … mmmh.«
Emma musste sich bremsen, um der Kleinen nicht zu helfen, die sich umständlich den Schlafanzug anzog. Eigentlich ging ihr das viel zu langsam. »Weißt du was«, sie schlug sich auf die jeansbedeckten Schenkel, »wir nehmen deine Zahnbürste und Zahnpasta mit und erledigen alles in einem Aufwasch.«
Seit sie sich vor knapp zwei Wochen ihre Tochter geschnappt hatte und mit ihr geflohen war, hatte Emma sich für gewöhnlich so lange unter Kontrolle, wie Gracie sie brauchte. Sobald das Kind jedoch schlief, kochte alles wieder hoch.
Die Arme vor der Brust verschränkt, stand Emma in der ersten Etage am Fenster und spähte auf den schwach erleuchteten Platz. Wie in den meisten Kleinstädten wurden in Port Flannery nach Einbruch der Dunkelheit wohl die Bürgersteige hochgeklappt. Schon möglich, dass in der Taverne am Hafen mehr los war, aber hier oben war alles ruhig und still. Soweit sie erkennen konnte, strolchte lediglich irgendeine hässliche Promenadenmischung
über den Rasen, schnupperte an den Blumen und hob das Bein. Wie deprimierend! Emma zog kurzerhand die Vorhänge zu und wandte sich vom Fenster ab.
Sie versuchte krampfhaft, den Stapel Videos auszublenden, der in einer Tasche auf dem Regal lag. Die Filme zogen sie magisch an, genau wie an dem Tag, als sie in seiner Bibliothek auf Grants Rückkehr gewartet hatte. Der Tag, der ihr gesamtes bisheriges Leben umgekrempelt hatte.
Es war beileibe nicht ihre Absicht gewesen, in seine Privatsphäre vorzudringen. Mon Dieu, erregte sich Emma noch im Nachhinein und musste eine leichte Anwandlung von Hysterie unterdrücken, seine Privatsphäre . Das war die Ironie schlechthin! Ihr entwich ein leises, erbittertes Lachen, fröstelnd schlang sie die Arme um ihren Körper.
Um eins klarzustellen: Sie hatte an dem fraglichen Nachmittag in Grants Bibliothek nicht herumspionieren wollen, sondern sich aus purer Langeweile ein wenig umgesehen. Zudem hatte sie schon zigmal beobachtet, wie Grant den Schlüssel vom Schrank genommen und wieder weggelegt hatte, und immer angenommen, dass es sich bei den Videos um Aufzeichnungen seiner geschäftlichen Transaktionen handelte. Durchaus nachvollziehbar, dass er derart brisante Dokumente wegschloss. Um sich die Zeit zu vertreiben, war sie an jenem Nachmittag an der Glasvitrine vorbeigeschlendert und hatte die Daten auf den Videoboxen überflogen. Dabei war ihr zufällig die Kassette mit der Aufschrift 14. März 1982 ins Auge gefallen - das Datum, an dem sie den Mann kennen gelernt hatte, der für sie zu einer Art Vaterersatz hatte werden sollen. Nachdem sie den unrühmlichen Versuch unternommen
hatte, Grant Woodards Rolls-Royce - einen legendären Silver Cloud - zu stehlen.
Eigentlich hatte sie bei solchen Aktionen gar nicht mitmachen dürfen. Big Eddy duldete sie zwar in seinem Laden, hielt sie aber geflissentlich aus den Autodiebstählen und Schiebereien heraus, auch wenn sie ihn, seinen Mechaniker und zwei Karosseriebauer ständig damit nervte. Er sei der Carnapper, beteuerte er nachdrücklich, seine Schwester jedoch zu Höherem berufen.
In dieser Hinsicht war Eddy echt skurril. Er kümmerte sich akribisch darum, dass sie regelmäßig die Schule besuchte, sich zweimal täglich die Zähne putzte und in ihrem Beisein keine schmutzigen Witze erzählt wurden. Auf der anderen Seite brachte er ihr das Autofahren bei, als sie noch keine zwölf war, zeigte ihr, wie man einen Motor in seine Einzelteile zerlegte und eine Karosserie neu spritzte. Aber wie das Kerngeschäft, das eigentlich Spannende in seinem Job, funktionierte, erklärte er ihr nicht. Das, was ihr am meisten Spaß gemacht hätte, enthielt Eddy ihr vor.
Also beschloss sie, auf eigene Faust ein Ding zu drehen.
Sie hatten den Wagen schon oft in einem der vornehmen Wohnviertel
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