Revenants Trilogie 01 - Von der Nacht verzaubert
kann doch gar nicht wahr sein.
Die sanften Wellen glitzerten und blitzten wie kleine Sonnen auf dem rasch dahinströmenden grünen Fluss. Riesige bauschige Wolken trieben an einem Himmel, den man in den Straßen zwischen den vielen hohen Gebäuden nur selten in diesem Maße zu Gesicht bekam. Die Wellen plätscherten laut gegen die Ufermauer und steigerten sich zu richtigen Schlägen, wenn ein motorisiertes Boot vorbeifuhr. Ich schloss die Augen und sog die Ruhe dieses Ortes mit jeder Pore auf.
Vincent berührte meine Hand und brach damit den Zauber. Er sah beunruhigt aus und suchte nach Worten. Endlich sprach er. »Du weißt jetzt, was ich bin, Kate. Zumindest grundsätzlich.«
Ich nickte und fragte mich, worauf er wohl hinauswollte.
»Es ist so ... Ich möchte dich gern besser kennenlernen. Du löst etwas in mir aus, das ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Dass ich so bin, wie ich bin, macht die ganze Sache«, er machte eine Pause, »ein bisschen kompliziert.«
Weil er so gequält dabei aussah, hätte ich ihn am liebsten in den Arm genommen, um ihm zu zeigen, dass alles gut war. Doch ich kratzte das letzte bisschen Selbstbeherrschung zusammen, um ruhig sitzen zu bleiben und meine Klappe zu halten. Er hatte sich seine Worte offensichtlich ganz genau überlegt, da wollte ich ihn nicht aus dem Konzept bringen.
»Du hast gerade erst zwei sehr wichtige Menschen verloren. Das Letzte, was ich möchte, ist, dir das Leben noch schwerer zu machen. Wenn ich ein normaler junger Mann wäre, würde ich dieses Thema gar nicht erst ansprechen. Wir würden uns einfach treffen und sehen, wie es läuft. Wenn es klappen würde, toll, wenn nicht, dann wäre das auch kein Drama. Aber auf so etwas kann ich mich nicht guten Gewissens einlassen — nicht in deinem Fall. Du bedeutest mir schon jetzt so viel und ich möchte nicht, dass du dich auf mich einlässt, ohne die Schwierigkeiten zu kennen. Du weißt, dass ich anders bin. Aber noch nicht mal ich habe eine Ahnung davon, was uns erwartet, wenn wir weitermachen ...« Es fiel ihm wohl genauso schwer, das alles auszusprechen, wie er darauf brannte, es endlich zu sagen. »Mir gefällt es nicht, schon am Anfang mit dir über so ernste Dinge reden zu müssen.«
Er verstummte für einen Augenblick. Sein Blick fiel auf unsere Hände, die nur wenige Zentimeter voneinander entfernt lagen.
»Kate, ich kann nichts daran ändern, dass ich mit dir zusammen sein möchte. Deshalb will ich so offen wie möglich zu dir sein, damit du dir alles in Ruhe überlegen kannst. Damit du dich entscheiden kannst. Ich will es gern probieren. Herausfinden, ob und wie wir zusammenpassen. Aber wenn du dich dagegen entscheidest, dann akzeptiere ich das. Nur du selbst kannst einschätzen, wie viel du aushältst. Es liegt in deiner Hand, wie es mit uns weitergeht. Du musst dich nicht sofort festlegen, aber ich würde mich freuen, wenn du mir jetzt sagst, wie es dir mit all dem geht.«
Ich winkelte meine Beine an, die gerade noch über dem Wasser gebaumelt hatten, und umschlang sie mit den Armen. Während ich mich stumm ein paar Minuten lang vor- und zurückwiegte, tat ich etwas, das ich nur sehr selten zuließ. Ich dachte an meine Eltern. An meine Mutter.
Sie hatte mich immer aufgezogen, weil ich so impulsiv war, mir aber gleichzeitig stets geraten, auf mein Herz zu hören. »Du hast eine alte Seele«, hatte sie einmal gesagt. »In Georgias Fall könnte ich das nicht sagen und versprich mir um Himmels willen, dass du ihr nie erzählst, was ich dir jetzt sage. Sie hat nicht deine Intuition. Sie erkennt in den Dingen nicht deren wahren Kern. Nicht so wie du. Hab keine Angst, für das, was dir im Leben wirklich wichtig ist, zu kämpfen. Ich bin mir sicher, dass du immer die richtigen Ziele verfolgst.«
Wenn sie mich jetzt sehen könnte, wäre sie sich bestimmt nicht mehr so sicher.
Meine Augen wanderten von den Booten zu Vincent, der reglos neben mir saß. Ich betrachtete sein Profil, während er gedankenverloren auf das Wasser starrte. Wem wollte ich eigentlich etwas vormachen? Ich hatte gar keine Wahl. Mein Entschluss stand schon fest, seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte, ganz gleich, was mein Verstand mir seither hatte weismachen wollen.
Ich hob meine Hand und fuhr mit den Fingern seinen Arm entlang, meine Fingerspitzen berührten seine warme Haut. Er sah mich so sehnsüchtig an, dass mein Herz aussetzte. Ich lehnte mich an ihn und streifte mit meinen Lippen über seine bronzefarbene Wange. Ich
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