Revierkönige (German Edition)
sie eigentlich Zeit überbrücken wollte? Von den Typen hier sprach sie nicht einer an, ja sah sie nicht mal an. Warum? Es war doch noch gar nicht lange her, dass sie keine zwei Minuten irgendwo allein stand, dann kamen sie schon angeschwärmt, mindestens einer, oft zwei oder drei, bereit, ihr auf irgendeine Weise zu verstehen zu geben, dass sie eine tolle Frau war. So sehr hatte sie sich doch nicht verändert. Sie gehörte nicht dazu, natürlich nicht, doch jetzt hatte das offenbar keinen exotischen Anreiz mehr. Von einem Besuch zum anderen schienen sich die Interessen verlagert zu haben. Sie hatte etwas verloren, ausgerechnet heute, wo sie es gebraucht hätte. Es war kurz nach eins, und sie begann ihren Rundgang durch das Hades, auf der Suche nach Olaf.
Nachdem sie sich zum zweiten Mal durch die düsteren Räumlichkeiten und eine anonyme Menschenmasse geschoben hatte, vorbei an Parfümgerüchen, Haarspray, altem Fett und verschüttetem Bier, gab sie auf. Die Rockmusik und das Lichtgeflacker gingen ihr auf die Nerven,ihr war zum Heulen zumute. Olaf war nirgendwo zu sehen. Schon längst stand er nicht mehr auf der Plattform, auch nicht am Ausgang, nicht draußen. Selbst vor den Toilettenräumen hatte sie eine Weile gewartet, hatte reihenweise Typen rein und raus gehen sehen, nur nicht Olaf Keune mit seinem Cowboyhemd, seinem schwarzen Pagenkopf, Olaf, den sie doch immer aus einer großen Menge heraus und im diffusesten Licht und aus einer riesigen Entfernung erkennen würde, nicht nur aufgrund seiner Größe. Es war zwanzig vor zwei. Eine viertel Stunde würde sie noch warten. Er musste ja irgendwann kommen, er konnte nicht ohne sie gegangen sein. Sie nahm die letzte in der Schachtel verbliebene Zigarette und wusste, dass etwas nicht stimmte. Olaf war nicht mehr da.
Ein Abend kann richtig gut anfangen und total scheiße enden. So scheiße, dass man die Welt in Stücke hauen oder sich in Luft auflösen möchte. Olaf Keune wusste nicht, welches Gefühl intensiver in ihm brannte: Scham oder Hass. Jetzt war Schluss! Womit auch immer – Schluss. War doch erst echt lustig gewesen. Er hatte alles im Blick von seinem erhöhten Platz aus, und man hatte auch ihn im Blick, den Spargel mit seiner neuen schwarzen Lederhose, mitsamt seinen Accessoires, die an ihm baumelten. Er sah die Beine von Vera und Freese unten an der Bar, neben ihm stand Martina, stoned und wie immer am Schnäbbeln und am Kichern.
„Und wer ist die unbekannte Schöne neben dir, wenn man fragen darf?“, fragte er Martina, die ihn zur Begrüßung auf den Mund geküsst hatte.
„Darf ich vorstellen: meine Freundin Petra, Petra – das ist Olaf Keune.“
Petra nickte wissend und lächelte herzerfrischend. Er hatte schon lange keine neue Frau mehr kennengelernt. Klein und blond war zwar nicht unbedingt sein Fall, aber diese Petra war eine von diesen hübschen Ruhrgebietspflänzchen, nett und unkompliziert. Vielleicht wäre ein kleiner Fick drin, aber nein, ging ja nicht. Nicht heute. Und überhaupt: brauchte er diese Selbstbestätigung noch? Das fragte sich Spargel und war eigentlich ganz zufrieden.
„Ich hab dich hier noch nie gesehen. Was ich übrigens sehr schade finde.“ Er grinste breit auf das hell gepuderte Gesicht mit den rosa bemalten Lippen hinunter. Das dünne Haar schwebte wie eine lichtdurchflutete Staubwolke darum.
„Ich wohn ja auch nich hier. Komm aus Düüsbuach. Aber jetzt habbich hier ´n Job und ma sehn, wahrscheinlich such ich mir auch ne Wohnung.“
Das sagte sie mit einer lauten, sehr kräftigen Stimme. Hätte man ihr gar nicht zugetraut. Aber so was gibt es, dachte er: zarte Geschöpfe mit großen Augen und kleinen Mündchen, aus denen einem eine Stimme von der Kraft eines Bulldozers entgegenschlägt.
Martina war aufgekratzt. Er lästerte eine Weile mit ihr über die Leute ab, die reinströmten, und nachdem sie sich draußen einen Joint geteilt hatten, auf den ein paar Bierchen folgten, lachte und alberte man herum und schaukelte sich gegenseitig hoch, der Spargel war da unübertrefflich, aber Martina und ihre Freundin hielten ganz gut mit. Zeit verging. Spargel kannte einige, die reinkamen, man grüßte sich, man redete ein paar Takte und wer was wollte, so gewisse Dinge, der sollte doch morgen im Laufe des Nachmittags bei ihm anrufen. Was soll man machen?, bei dem Geschäft iss das eben so, da quatschen dich die Leute an wo´se dich zu fassen kriegen. Hin und wieder erhaschte er sein Bild in einem der Spiegel und
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