Revierkönige (German Edition)
Acid war. Das wusste er ganz bestimmt. Was er ebenfalls wusste, war, dass er sie ansah: Er sah sie einfach nur an, ihr Kinn, ihre hübsch geformte Nase, helle Wimpern, Sommersprossen unter den Augen.
„Wieso kucksse mich so an?“, fragte sie ernst und erwartungsvoll.
„Weil du so schön bist“, antwortete er und versuchte, ein aufsteigendes Kichern zu unterdrücken. In der Schlange an der Kasse standen gerade zwei brünette Knaben mit um die Oberschenkel gebauschten Hosen, ganz in Schwarz. Die sahen aus wie sechzehn und trugen einen lächerlichen Haarschnitt mit strengem Seitenscheitel, wie früher die Popper, meinte Olaf. Gab´s die noch? Martina kam zurück und roch stark nach Parfüm. Sie drückte jedem einen Tequila in die Hand. „Sooo, und das zum Abschied. Petra und ich haun gleich ab.“
Spargel schluckte, der ging auch noch rein. Seine Kehle brannte. „Brrr“, machte er, schwankte und stellte sich den Knaben in den Weg, die gerade die Treppe heraufwollten. Er streckte den rechten Arm vor und schrie aus vollem Halse: „Heil Hitler!“
Er meinte es gar nicht so, passte nur gerade, man war eben etwas angeheitert. Doch schon kam einer von Farouks Schergen angerannt. „Was hass gesagt?!“
Vom Spargel kam erst mal nichts, ging alles viel zu schnell, und außerdem: der Realitätssinn hatte ja Verluste erlitten. Jemand zog ihn an seinem Halsschmuck die Treppe runter. Während er zum Ausgang gezerrt wurde, nahm er nur den Schmerz wahr, als das Lederband in seinen Nacken schnitt.
„Hä?! Was hass gesagt? Sag noch ma!“
Dann brüllte ihm einer etwas auf Türkisch ins Ohr, dem Ton nach zu urteilen musste es sich um eine Beleidigung handeln. Spargel konnte nicht mal in solchen Momenten seinen Mund halten und gab ein paar Unverschämtheiten in seiner Sprache zurück. Der fette Farouk, das Bärchen, stand plötzlich hinter ihm. Das „Ej Bruder, war nur Spaß“ konnte ihn dann auch nicht mehr retten. Farouk drehte ihm die Arme auf den Rücken und ein anderer verpasste ihm einen Faustschlag direkt aufs vorlaute Maul. Etwas Metallisches traf die Zähne, es machte ein knirschendes Geräusch, jemand schubste ihn. „Und jetz hau ab, sag ich dir, ganz schnell!“
Spargel entfernte sich einige Meter vom Hades und hielt sich die Hand vor den Mund, aus dem reichlich Blut quoll. In Sekunden schwoll seine Oberlippe an. Martina und Petra kamen angerannt, bleich vor Schreck.
„Oh, das sieht nich gut aus. Komm, Petra iss mit ihrem Auto da, wir fahren dich ins Krankenhaus.“
„Biss du nich ganz dicht? Ins Krankenhaus! Ich will nach Hause.“ Er spuckte Blut aus. In der roten Lache neben dem Bordstein lag ein Zahn. „Scheiße, tut das weh!“
Martina gab ihm ein Papiertaschentuch, das er sich zwischen die Zähne schob. Es saugte sich sofort voll. Sie gab ihm ein neues. Während die Packung Taschentücher aufgebraucht wurde, beeilte sich Petra, ihr Auto vom Parkplatz zu holen. Martina sah ihn besorgt an und streichelte seinen Arm. Mit einer ungeduldigen Bewegung schüttelte er sie ab. Ihm war kotzübel. Aber diese Blöße wollte er sich nicht geben, mitten auf die Straße und vor all den Leuten, die da neugierig rumstanden, zu reiern.
Sie saßen gerade im Auto, als Martina sich zu dem Verletzten auf dem Rücksitz umdrehte. „Sachma, bist du nich mit deiner Prinzessin gekommen?“
„Ach du Kacke! Vera!“
„Soll ich eben reingehen und ihr Bescheid sagen?“
Das war – oberflächlich gesehen – furchtbar nett von Martina, aber Olaf wollte nicht, dass sie Vera sah, dass die beiden Frauen sich sahen. Warum, wusste er auch nicht genau, die Vorstellung war ihm einfach unangenehm. Es störte ihn auch, dass sie „Prinzessin“ sagte. Er hatte Vera mal so bezeichnet, als er sich Wut und Frust von der Seele reden musste. Aber außer ihm hatte niemand das Recht, Vera so zu nennen.
„Die findesse in dem Gewühl sowieso nich“, sagte er unwirsch und dicklippig.
„Warum? Wie sieht die denn aus? Ich find die schon.“
„Wiese aussieht! Na eben wie alle Frauen da drin. Jeans, T-Shirt, braune Haare. Nee, die kommt dann schon. Ich will nach Hause. Mann ey!“
Die Mädchen lieferten das Opfer vor dessen Haustür ab. Martina wäre gern mitgekommen, aber er lehnte ab. Er wollte allein sein, bloß allein sein. Als er die Wohnungstür hinter sich zumachte, lehnte er sich dagegen und schloss einen Moment die Augen. Das Brummen des Kühlschranks hörte sich vertraut und tröstend an. Er fühlte sich dermaßen
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