Revierkönige (German Edition)
Enttäuschung.
„Willst du nicht erst deine Sachen wegbringen? Wir können doch dann noch was trinken gehen.“
Er warf seinen Seesack über die Schultern. „Ich bin hier!“, rief er. „Ich bin echt hier. Lass uns in das eine Café in Schwabing gehen, da habbich jetz Bock drauf. Bitte! Ich kann jetz nich nach Hause.“ Er legte einen Arm um sie.
Das Paar mit dem Seesack auf der einen Seite, setzte sich in Bewegung.
„Ich will ein Weizenbier trinken. Boo, die Fahrt ej, ich glaub, ich bin drei Tage Zug gefahren, der kam nie an, in Köln habbich ersma was geraucht, aber das war ´n Fehler, das nahm echt kein Ende, dann habbich mir vor Würzburg noch Acid reingeschoben, und dann habbich permanent unter Lachanfall gelitten. Aber ich konnte nich lachen, das blieb in der Brust drin, ich dachte echt, das haltich nich mehr aus. Warte mal ebent, ich muss noch mal lachen.“ Er blieb stehen. „Haa-haa-haaa. So. Jetz sindwer hier, ich und mein Seesack, jetz haste uns am Hals. Ej!, wie findeste das überhaupt?“
Wie fand sie das, wie fand sie das?
Um vier Uhr, als sie das Lokal verließen, dämmerte es noch nicht, nur die Dunkelheit rückte vom Nächtlichen ab und man konnte sich leicht einbilden, dass es bald Morgen war, in einer Stunde fuhr schon die erste Straßenbahn, in dieser Stadt Tram genannt. Sie hatten sich stundenlang gegenüber gesessen und unterhalten, die hohen Gläser zusammen mit der Tatsache, dass sich etwas Grundlegendes geändert hatte, zwischen ihnen. Und Spargel ganz da, ganz da, wo er sein wollte.
Wenn man an einem anderen Ort ist, wird man ein anderer, das fand Olaf Keune ja so aufregend. Man ging wie auf Watte auf dem fremden Asphalt, man träumte und träumte und konnte denken: toll, ich brauch nicht aufzuwachen, ich muss nicht in die Stadt der Armen zurück, ich bin hier, ich bin ein anderer. Man hatte jetzt eine Beziehung, die einem wichtig war, man wusste, worauf es wirklich ankam.
Es gab kein Erwachen.
In Veras Appartement war es manchmal etwas eng, zum Beispiel als dann der Fernseher und die Stereoanlage kamen, die sich nicht in Veras Einrichtung einfügen wollten. Sie machte tagelang ein saures Gesicht, lehnte ab, wollte nichts umstellen, hier passte alles zentimetergenau, kein Platz für fremdes Eigentum. Erst nach einer Woche beruhigte sie sich, weil es doch nicht so schlecht war, Musik über vernünftige Lautsprecher zu hören, mal an einem regnerischen oder verkaterten Tag halb angezogen vor der Glotze zu hängen. Aber das hätte sie nie zugegeben.
Die häuslichen Angelegenheiten klappten ganz gut. Er saugte mal durch, wusch ab oder ging einkaufen, wenn sie arbeitete. Und wenn er die Wohnung verließ, schrieb er für den Fall, dass sie zwischendurch nach Hause käme oder er länger als beabsichtigt unterwegs wäre, immer kleine Zettel, die er auf das runde Bistrotischchen legte, an dem sie notgedrungen zu zweit aßen. Schatz, meine Blume, cherie – ich küsse dich, dein Geliebter, dein Jean-Paul. Jedes Mal, wenn er den Schlüssel nahm und die Wohnung abschloss oder sie wieder aufschloss, spürte er einen kleinen freudigen Stich in seinem Herzen.
Es war schnell zur Gewohnheit geworden, dass er gegen Mittag ins Fotostudio kam. Er sah Vera wieder und war sich ihrer sicher, und Vera schien es zu gefallen, dass er auf sie wartete, solange sie noch zu tun hatte, überhaupt: dass er da war, erreichbar war. Bruno lud ihn meistens ein, ein Glas mit ihm zu trinken und ein bisschen zu quatschen, und letztendlich blieb man hängen und verquatschte und vertrank sich. Er hatte Bruno bei einigen Fotosessionen zugesehen und wünschte sich, auch so was machen zu können. Das Gewirr aus Lampen, Spannungsgeräten und Kabelrollen faszinierte Olaf. Und dann die teuren Kameras, die Objektive, da wurde man richtig ehrfürchtig. Es kam allerdings auch vor, dass Bruno ihn kurzerhand rauswarf, so als täte er, Olaf, nichts anderes als ihm die Zeit stehlen. Dieser Wechsel war verwirrend, man kam sich überflüssig vor, wie einer, der hier nichts verloren hatte. Dann sagte Bruno wieder: Komm, Olaf, hilf mir mal beim Aufbau, oder: Olaf, du könntest mir einen Gefallen tun. Er hatte so eine Art, der man sich schlecht widersetzen konnte, und na ja, er durfte Bruno Zeiner assistieren, diese Ehre wurde nicht jedem Beliebigen zuteil. Stellte sich auch nicht blöd an. Da kam dann so ein Gefühl von Dazugehören auf.
Ganz und gar anders vergingen hier die Tage. Man sah interessante Dinge, man lernte etwas,
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