Revierkönige (German Edition)
die Leute hier waren einfach anders drauf. Eines Tages fragte Bruno ihn wie aus heiterem Himmel: „Was ich dich immer mal fragen wollte, Olaf, wieso bist du eigentlich hier?“
„Weil ich mit der Frau, die ich liebe, zusammen sein will,“ antwortete er wie ein Schüler, der gerade geprüft wurde. Darüber ärgerte er sich. Was sollte diese Frage überhaupt?
Bruno holte eine halb volle Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank und goss sich ein Glas voll. Es war elf Uhr, sein Gesicht rot und schwitzig, seine goldumrandeten Brillengläser hätten mal geputzt werden müssen. Er nahm sich eine Zigarette aus Olafs Schachtel.
„Also du bist ausschließlich wegen unserer lieben Vera hier?“
Unsere liebe Vera. „Ja klar.“
„Hm.“
„Was heißt: ausschließlich ..., natürlich find ich auch die Stadt toll, hier kann man wenigstens was unternehmen, hier wird einem kulturell was geboten, Mann.“
„Aha, die Stadt und die Kultur findest du auch toll. Das ist ja süß. Und deshalb gibst du einfach so dein Leben und deine gewohnte Umgebung auf? Ganz schön mutig.“
„Ich hab da nichts aufgeben. Jeder will da weg, im Ruhrgebiet haste nicht viele Perspektiven. Du kommst da irgendwie nich voran.“
„Das liegt an jedem selber. Du machst die Kultur, Mensch! Du hast einfach einen falschen Begriff davon. Meinst du, Kultur ist nur das, was angenehm und erhebend ist, Dreck und Maloche seien nicht Kultur?“
„Nein, weiß ich nich, wahrscheinlich nich.“ Er war kein kleiner dummer Junge. Er war kein kleiner dummer Junge! „Du lebst ja nich da, ej! Du wohnst hier inner tollen Stadt und machst deine kreative Arbeit, um das ma so auszudrücken, und hast gut reden. Du wohnst nich in sonner Straße, wode Paranoia kriegst, weilde nur auf die graue Hauswand gegenüber kuckst, wode echt von Asozialen umgeben bist, und wo einfach nichts los iss, wo die Leute auf der Stelle treten.“
„Du stehst nicht dazu.“
„Nee, zu so was kann ich nich stehen, tut mir leid.“
„Vielleicht bist du es, der auf der Stelle tritt.“
„Das glaube ich nicht. Deshalb bin ich ja hier. Ich bin jemand, bei dem sich was bewegen muss. Stillstand macht mich krank.“
Bruno schwieg, trank und bot Olaf nichts an.
„Ej, ich hab die Frau meines Lebens getroffen und dazu steh ich. Man muss zu seiner Entscheidung stehen.“ Darüber hätte er sich gerne ausgelassen. Darüber konnte er stundenlang reden. Über ihre Beziehung und über den Wert dieser Beziehung, über gegenseitiges Verstehen und Toleranz.
„Die Vera“, sagte Bruno langsam und richtete einen glasigen Blick auf die leere Flasche, „ist gar nicht schlecht. Also versteh mich jetzt nicht falsch, ich rede von rein beruflichen Dingen. Ich kenne sie ja, seit sie bei mir in die Lehre kam. Sie arbeitet ordentlich, korrekt, sie ist fleißig, gewissenhaft, aber es fehlt ihr was.“
„Ihr fehlt einfach die Lebenserfahrung. – Die bringe ich ein.“
Bruno lachte. Olaf war ein bisschen versöhnt. „Weißte, du siehst das Ganze von außen. Aber versuch dich mal in meine Lage zu versetzen. Einmal bin ich mit Vera auf den Alten Peter gestiegen. An dem Tag konnte man von da oben die Alpenkette sehen. Die Alpen! Mit Schnee drauf und Sonne. Ej, weißte überhaupt, was das bedeutet?! Das war total überwältigend, das war ... machtvoll. Wennde so was siehst und weißt, dahinter fängt Österreich an, du bist da mit anderen Ländern verbunden, mit Italien oder so, da haste doch echt ´n anderen Horizont. Du kriegst plötzlich ne ganz andere Perspektive von allem, auch von dem wasde machst, vom Leben überhaupt.“
Bruno lachte wieder. „Du bist ja ein Romantiker!“ Er legte den Kopf schief und sah Olaf an, als würde er in Gedanken ein Foto von ihm schießen. „Du hast doch was erlebt – wenn ich dem Glauben schenken darf, was du mir über dich erzählt hast. Warum machst du da nichts draus? Setz das um, wie auch immer. Setz das um.“
Dann stand er auf, nahm sich eine weitere Zigarette aus Olafs Schachtel und schlenderte hinaus. Bruno Zeiner hatte die Session beendet und ließ einen mit einem Haufen Fragen und aufgeschüttelten Erinnerungen zurück. Er wollte aber nicht erinnert werden. Mittlerweile war alles weit entfernt. So weit wie ein anderes Leben, so weit wie die Gedanken von Olaf Keune sprangen. Hier nannte ihn keiner Spargel.
In jenem Sommer, in dem die Temperaturen an vielen Tagen bis auf 33°C kletterten, saßen sie auf der kleinen, mit Blumentöpfen und Rabatten
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