Revierkönige (German Edition)
gerade die künstlerische Arbeit, von der er träumte, aber immerhin 500 Mark schwarz auf die Hand. Wenn er jetzt am Vormittag mit der Zeitung im Proust, seinem bevorzugten Lokal, saß, jetzt erst, mit einer gewissen Summe Geld in der Tasche und der Aussicht wegzufahren und der weiteren Aussicht wiederzukommen, fühlte er sich besser. Er saß immer gerne hier, las oder beobachtete die Leute und war sich seiner Einsamkeit bewusst, die ihn nicht sehr wehmütig stimmte. Sie machte ihn interessanter, fand er. Am meisten freute es ihn, wenn er am frühen Abend dort saß und Vera nach der Arbeit hereinkam. Manchmal mit vorwurfsvollem Blick und genervt, wenigstens bis zum zweiten Bier, aber manchmal auch wie Simone d. B., und dann liebte er sie so, wie er noch nie jemanden geliebt hatte und war stolz darauf. Das Hefeweizen war süffig, lecker, da gingen durchaus fünf oder sechs von rein. War irgendwie nicht wie Alkohol, aber man war auf angenehme Weise besoffen. Wenn er sie noch zu einem letzten Bier, das sowieso das vorletzte war, überreden konnte, wurde er euphorisch. Er kam ins Schwärmen, Veras Augen waren so unergründlich türkisgrün, die Zukunft und dass man zusammen war, das war etwas Wertvolles, das verstand er unter „Sinn des Lebens“. Alles hatte Bedeutung.
Manchmal tranken sie auch Wein. Er bestellte eine ganze Flasche und trank gierig große Schlucke, als wollte er mit der eigenen Zufriedenheit mithalten. Wenn man es mal von der positiven Seite betrachtet – denn warum soll man nur das Negative sehen? –, war der Alkohol nach den Jahren der Kifferei eine willkommene Abwechslung. Da wusste man wenigstens, woran man war. Der Brummschädel am nächsten Tag und dann im Bett abhängen, mit sich und seinen Gerüchen und seinen Begierden verwoben, während Vera aufstehen musste und fast heulte, weil´s ihr so schlecht ging. An manchen Tagen blieb Veras Körper auch unter der warmen Decke und schob sich ihm in greifbare Nähe, ihre Brüste zitterten, ihr Fleisch war nachgiebig, willig und fordernd wie sonst nie. Eine gar nicht prüde Vera war das, das machte ihn lächeln. So lebte man zusammen, die Berührungen wurden vertrauter, die Aufregung verlor sich, aber eigentlich war das gut so, alles andere war doch nur anstrengend.
Alle drei Wochen fuhr Vera zu ihren Eltern nach Rosenheim. Manchmal blieb sie über Nacht. Eines Tages brachte sie eine offizielle Einladung zum Essen mit. Davon war Olaf gar nicht angetan. Er hasste so was: Eltern besuchen, sich benehmen, sich inspizieren lassen, da musste man höllisch aufpassen, dass man nichts falsch machte, und wer weiß, wie die drauf waren, vor allem ihr Vater, der Hüter des Vera-Augapfels. Die Mutter, die mit dem Esoterik-Tick, die sei ganz locker, meinte Vera, mit der würde er bestimmt gut klarkommen. Lieber wollte er nicht, ach nee, ich will da nich hinfahren. Aber nun wohnte er doch schon Monate hier, er musste nun wirklich, dieses Müssen, dagegen hatte er schon immer was, und Vera verstand nicht, warum er sich so wehrte, was denn da Schlimmes dabei sei. Reiß dich zusammen, Mann, man kann sich doch hier nicht so kindisch aufführen! Er tat ja gerade so, als würde er zur Schlachtbank geführt. Er konnte höchstens noch schwer krank werden. Er wurde aber nicht krank.
Das moderne Einfamilienhaus am Ende einer verkehrsberuhigten Straße beeindruckte ihn unangenehm. Als sie unter dem Vordach und vor einer schweren, dunklen Tür standen, überkam Olaf der Drang wegzulaufen. Er wischte sich den Schweiß, der sich in seinen Handinnenflächen bildete, an seiner Jeans ab. Dann ging die Tür auf und alle seine Befürchtungen bestätigten sich auf den ersten Blick. Veras Vater hatte graue Schläfen, die gut zur gepflegten Bräune seines Gesichts passten, und trug einen lässigen, hellen Strickpullover, eine graue Leinenhose und butterweiche, beige Slipper. „Herzlich willkommen!“
Veras Mutter war eine große, schlanke Frau und überragte ihren Gatten um einige Zentimeter. Trotz ihrer Größe wirkte sie zerbrechlich. Sie begrüßte Olaf Keune überschwänglich und klimperte nervös mit ihren Modeschmuckketten herum. Im Laufe des Abends und je mehr Wein sie trank, wurde sie immer schweigsamer, und Olaf hatte den Eindruck, dass sie zu viel trank, überhaupt: dass sie täglich zu viel trank. Sein Versuch, sich mit ihr zu solidarisieren und sie in Ordnung zu finden, nach dem Motto „Ich-kenne-das-ich-weiß-was-Sie-meinen“, scheiterten. Veras Vater war sehr
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