Revierkönige (German Edition)
Langsam hat man kein Bock mehr auf so was, dachte er, während er unaufhörlich seine Blase erleichterte. Dann stieg er zum letzten Mal in diese Dusche und zog den schweren schwarz-roten Plastikvorhang herum, ein Relikt aus seiner alten Wohnung. „Irgendwie gibt einem das nichts mehr, die Zeiten sind vorbei“, argumentierte er unter dem heißen Wasserstrahl.
Tropfnass betrat er die Küche. Das fand er jetzt schon wieder gut, wie die Wasserbahnen an ihm herunterliefen und wie sich eine Pfütze auf der Auslegeware bildete. Der Seesack aus grünem Drillich erinnerte ihn an die Zeiten, die vorbei waren.
IV
Berge und ihre Aussichten
Iss doch schön, König zu sein oder:
Wie man ein zufriedenes Arschloch wird
Tramp. Sein Fuß ruhte lässig auf der Heizungsverkleidung, während seine Hand auf den verwaschenen Stoff der 501 klopfte. Olaf Keune saß mit dem Walkman am Fenster, über ihm auf der Gepäckablage seine Habseligkeiten, die nicht mehr als 15 kg auf die Waage brachten. Alles, was er zum Leben brauchte, war da drin. Geiles Gefühl. Sein Herz schlug im Takt zum Schienengeratter und dank Acid schien er schon tausende von Kilometern gereist zu sein, da draußen rauschten sie an ihm vorbei, so schnell lebte er. On the road.
Nach langer, langer Zeit hielt der Zug. Er hörte das Quietschen der Bremsen durch seine Kopfhörer hindurch und spürte das Ruckeln der Waggons in seinem Körper. Erwartungsvoll warf er einen Blick aus dem Fenster, aber er las KÖLN HBF, und das konnte ja wohl nicht sein. Fassungslos starrte er das Schild an, aber es blieb bei KÖLN HBF.
„Ej, wir sind erst in Köln?!“, rief er. Die verständnislosen Mienen zweier Mitreisender, die für ihn weder Alter noch Geschlecht hatten und denen er eigentlich keine Beachtung schenken wollte, machten ihn wütend. Die schien es überhaupt nicht zu stören, dass sie erst in Köln, dass sie noch immer nicht aus diesem nordrheinischen Gebiet heraus waren, immer noch in dieser gleichbleibenden und gleichmachenden grauen Suppe steckten, Dom hin oder her. Diese geduldigen Bürger, dachte er, ihm wurde schlecht von so viel Geduld. Er stand auf, ging über den Gang zum Klo, setzte sich auf den schwarzen Plastikdeckel und zog das Fenster ein Stück herunter. Der Zug fuhr an. Wie ein schwerfälliges Urtier ächzte er aus dem Bahnhof. So würde er nie in München ankommen. Wie sollte er das aushalten? Wieso dauerte das diesmal so lange? Sechs Stunden waren es bestimmt noch, Mann, sechs ganze Stunden. Er wollte schnell da sein, damit die Stimmung, in der er losgefahren war, bloß nicht verflog, bloß nicht!
Er war jetzt der Tramp, der alles hinter sich gelassen hatte, um mit seiner Freundin auf 35 Quadratmetern zusammenzuleben (obwohl er auch mit der Hälfte einverstanden gewesen wäre), um sie aus ihrem spießigen Dasein zu befreien, mit ihrer Liebe, ihrer unschlagbaren Liebe. Ankommen, aber mit Stil, ankommen und bleiben, jetzt ging´s richtig los, jetzt wurde es ernst.
Er zog einen bereits präparierten Joint aus seiner Zigarettenschachtel. Als er gerade die Hälfte geraucht hatte, wusste er, dass ihm das Zeug die Fahrt nicht verkürzen würde, im Gegenteil, gar keine gute Idee war das, und wie sollte er diesen verdächtigen Geruch wieder rauskriegen, der hing hier drin, trotz des offenen Fensters, aber scheiß doch was drauf.
Um 23.10 Uhr stand er vor ihr, ließ seinen Seesack fallen und sperrte den Mund auf: „Haa-haa-haaa.“ Dann sah er sich um und sah sie an, aber er konnte ihr Gesicht nicht so richtig erkennen, er sah eigentlich nur sich selbst und dass er in München angekommen war. „Entschuldigung, aber ich musste ersma ablachen. Im Zug ging das nich.“
Sie näherte sich, und als sie seine Lippen mit den ihren berührte, da spürte er was, konnte aber die Stelle in seinem Körper nicht lokalisieren und an den Lippen gab es so ein Vibrieren. Er hätte auch mal kräftig rülpsen müssen von dem Bier, das er fläschchenweise im Speisewagen konsumiert hatte, aber das traute er sich nicht, denn in gewisser Weise war das jetzt hier ein wichtiger Moment. Vera sagte etwas, er verstand gar nichts, es waren so viele Leute auf dem Bahnsteig und machten Geräusche und die Halle, in der sie standen, war groß und mächtig und er stand hier mit seinem Seesack, das einzige, was zu ihm gehörte, und er hatte wieder mal das Gefühl, dass er gleich hyperventilieren müsse.
„Ej, ich kann jetz noch nich nach Hause“, sagte er und sah nicht ihre
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