Revierkönige (German Edition)
verständlich „Arschloch!“, und ließ die Tür zuknallen. Jetzt konnte sie anfangen zu plärren. Dieses freche Luder, diese impertinente, verwöhnte Göre. Prinzessin.
Er kam nicht weit. Er konnte nicht weiterlaufen, nicht weiteratmen, alles blieb ganz nah bei ihm. Seine Brust schmerzte, in seiner Kehle brannten zurückgehaltene Tränen. Er hasste sie für dieses Brennen in seiner Kehle. Das ruhige Fließen der Isar tat weh und der Geruch nach feuchtem Laub tat weh. Er blieb stehen, das Gehen tat weh, bleischwer seine Beine, ohne Kraft alles in ihm, seine Handflächen schweißnass in den Jackentaschen. Er setzte sich auf eine Holzbank, sie war feucht, egal, spielte keine Rolle mehr. Nichts spielte mehr eine Rolle. Die Erkenntnis hatte sich irgendwie von hinten angeschlichen und überfiel ihn jetzt. Nichts spielte mehr eine Rolle. Das durfte doch nicht sein!
Es war aber so. Er sah über den Fluss bis zur Häuserreihe am anderen Ufer, und da genau geradeaus war die Straße, ihre Straße, man erkannte das zweite Haus von der Ecke aus, ihr Haus, und im dritten Stock das Fenster, ihr Fenster. Ausgerechnet diesem Fenster saß er gegenüber, aber er konnte nicht aufstehen. Diese Schwäche auf einmal, diese verdammte Hilflosigkeit. Und weil es des Jammers noch nicht genug war, kam ihm auf einmal der Gedanke, dass er die ganze Zeit schon etwas suchte, das ihn an ihn selber erinnerte. Und er fand es nicht, er fand sich nicht. Dicke Tränen rollten über seine Wangen, das machte ihn wütend, als er es merkte, und dann wurden es einfach Tränen der Wut. Wie hasste er doch dieses Fenster da drüben und alles was dahinter lag. Er hatte Lust da raufzugehen und alles mit den Füßen zu zertrampeln, das Seine und das Ihre. Hier saß er und dachte: Ich lasse mich nicht in ihr Leben pressen. Hier saß er und hatte nichts mit dem da drüben zu tun. Aus dem Leben von Vera ausgeschlossen. Auch aus dem Leben der anderen, ausgeschlossen. Nicht mal zu Bruno konnte er gehen. Bruno Zeiner, dieser gealterte Fotograf mit seinem ebenfalls gealterten Erfolg, der sich schwatzend in den Alkoholismus soff, dieser Zyniker, der von seinem eigenen Frust ablenkte und ihn aufgenommen hatte wie ein neues Haustier. Es gab niemanden. Er ein Niemand, alle anderen: Niemand. Niemand wollte etwas von ihm, suchte ihn. Niemand fand ihn hier. Dieses Fenster da drüben vernichtete alle seine Illusionen.
„Man reißt sich den Arsch auf, um was auf die Beine zu stellen, aber keiner erkennt das an. Warum darf ich nicht das tun, was ich tun möchte? Warum darf ich keine Wünsche haben? Warum gibt einem verdammtnochmal keiner eine Chance? Alles ist an Bedingungen geknüpft.“
Die Bäume, der Fluss, die Straße, das Fenster.
„Ich werde nie das bekommen, was ich möchte“, sagte er. Auch deshalb weinte er. Das ist sein gutes Recht.
Dieses Herz raste, als hätte es den Endspurt genommen, als müsste es noch was gewinnen. Aber es gab nichts zu gewinnen, nur zu verlieren. Vera wollte nicht mit ihm teilen. Er hatte alles aufgegeben wegen dieser Liebe. Das würde sie nie begreifen. Vera, diese Frau. Ohne ihre Liebe war er nichts, ein schrecklicher Gedanke. Ohne sie hatte alles keinen Sinn. Auch dafür hasste er sie jetzt. Für die Verantwortung, die sie hatte, und die sie nicht erfüllte. Er hatte alles aufgegeben. Er dachte, er wäre auserwählt. Auf einmal war man nicht mehr als eine Pflanze, die man umgetopft hatte und die im neuen Topf keine Wurzeln schlug. Ging nicht an. Ein Mensch ohne Wurzeln. Er biss die Zähne aufeinander, blickte hasserfüllt zur anderen Seite und sagte sich: Du gehst jetzt zurück, du gehst da rauf.
Es war schon fast Herbstende, als er zurückkam. Es war so dunkel und kalt geworden, dass sie sich aneinander klammerten. Veras Verzweiflung, es tat ihm leid, aber er konnte mit ihrer Verzweiflung nichts anfangen, sie machte ihn unsicher. Er umarmte ihren Körper, den er noch immer begehrte und noch mehr liebte, aber er merkte, dass sie keinen Trost fand. In ihren Augen schwamm die Vergangenheit davon, alles, was hier nicht war. In ihrem Blick lag das Bedauern darüber und gleichzeitig schien sie sich dafür zu entschuldigen.
Später gingen sie Arm in Arm spazieren und Vera war ganz still, aber war bei ihm mit ihrem Kopfschmerz, beruhigt in ihrer Anhänglichkeit. Sie nahmen sich viel vor. Sie liebten sich doch.
Als Olaf Keune für ein paar Wochen in das leer stehende WG-Zimmer eines Freundes von Bruno zog, konnte man das Leben zu
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