Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
Schieber wären zerstört, die in ihnen verschlüsselten Informationen unwiderruflich gelöscht. Und Türkis müsste eines langsamen Todes sterben, weil ohne die Organismen im Ozean seine Sauerstoffatmosphäre nicht aufrechtzuerhalten wäre.
Fünf Minuten vergingen, dann zehn.
Die Transformationen wurden langsamer. Naqi erinnerte sich. Dieser Augenblick trügerischer Ruhe bedeutete lediglich, dass der Knoten aufgehört hatte, sich gegen das Gift zu wehren. Er hatte erkannt, dass er dem Untergang nicht entrinnen konnte, und gab auf. Das würde sich tausendfach auf ganz Türkis wiederholen. Gegen Ende würde der Widerstand vermutlich überall schwächer werden, weil die Welt seine Aussichtslosigkeit erkennen musste und sich in ihr Schicksal fügte.
Wieder vergingen fünf Minuten.
Der Knoten war noch da. Die Strukturen veränderten sich, aber nur allmählich. Noch war nichts von dem Hügel aus undifferenzierter Materie zu sehen.
Wie sollte sie das verstehen?
Sie wartete eine weitere Viertelstunde, dann steuerte sie das Boot zurück und stieß dabei Weirs schwimmenden Leichnam beiseite. Die ersten Ansätze einer Erklärung tauchten auf. Offenbar hatte der Knoten das Toxin absorbiert, ohne daran zugrunde zu gehen. Wäre es möglich, dass Weir sich geirrt hatte? Wäre es möglich, dass das Toxin nicht mehr wirkte, wenn es mehr als einmal eingesetzt wurde?
Vielleicht.
Während der ersten Transformationswelle hatten sicher noch Verbindungen zwischen den Knoten innerhalb des Ringwalls und dem restlichen Ozean bestanden. Später waren sie – entweder durch die Schließung der Tore oder durch einen eigenen Prozess innerhalb des Organismus – durchtrennt worden, doch bis zu diesem Moment waren immer noch Informationen durch das gesamte Netzwerk geflossen. Hatten die sterbenden Knoten eine Warnung abgesetzt, die es den anderen ermöglichte, irgendeinen Schutzmechanismus zu entwickeln?
Noch einmal, vielleicht.
Wo es um die Schieber ging, sollte man nichts als gegeben hinnehmen.
Naqi parkte das Boot an der Peripherie des Knotens. Dann stand sie auf und legte ein letztes Mal ihre Kleider ab. Sie würde sie sicher nie wieder brauchen. Staunend sah sie an sich hinab. Die leuchtend grünen Flecken bedeckten nun ihren ganzen Körper. Ein Zeichen für die Invasion fremder Zellen, die einerseits Grauen erregte.
Doch andererseits waren die Muster von einer unerwarteten Schönheit.
Rauch quoll über den Horizont. Flugmaschinen pflügten durch den Himmel, suchten nervös das Meer ab. Naqi trat an den Bootsrand, ihr Körper spannte sich. Dies war der Augenblick der Entscheidung. Dann verschwand die Angst, und eine tiefe Ruhe, von Liebe getragen, trat an ihre Stelle. Sie stand an der Schwelle einer fremden Welt, doch sie fürchtete sich nicht. Sie hatte nur das Gefühl, nach Hause zu kommen. Da unten wartete Mina. Vereint waren sie allem gewachsen.
Und Naqi breitete lächelnd die Arme aus und kehrte zurück ins Meer.
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