Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
nickte. »Die Schieber setzen sich zur Wehr. Das war mehr oder weniger meine Hoffnung.«
»Sie haben sie dazu aufgefordert?«
»Ich glaube, Mina hat erfasst, was nötig war, und konnte offenbar den Rest des Ozeans oder zumindest diesen Bereich hier davon überzeugen.«
»Wir werden sehen.«
Wieder suchten sie die Frequenzen ab. Das Satellitensystem war tot oder schwieg. Noch weniger Städte waren auf Sendung. Aber diejenigen, die noch Meldungen ausstrahlten – die sich noch nicht in der Gewalt von Ormazds Adepten befanden –, berichteten von wahren Horrorszenarien. Der Ozean schnappe nach ihnen und suche sie in die Fluten zu ziehen. Das Wetter verändere sich drastisch, gewaltige Meeresströmungen würden so gelenkt, dass sie heftige Stürme heraufbeschwören. All das raste in konzentrischen Wellen von genau dem Punkt im Ozean nach außen, wo Naqi geschwommen war. Einige Städte waren bereits ins Meer gestürzt, wobei aus den Meldungen nicht hervorging, ob durch direkte Einwirkung der Schieber oder durch Schäden an den Vakuumblasen. Menschen befanden sich zu hunderten, zu tausenden im Wasser und suchten sich mit hektischen Schwimmbewegungen vor dem Ertrinken zu retten.
Doch was bedeutete auf Türkis schon ›ertrinken‹?
»Der gesamte Planet ist betroffen«, sagte Naqi. Sie fröstelte immer noch, aber jetzt mehr vor Ehrfurcht als vor Kälte. »Der Ozean trotzt uns, indem er unsere Städte zerstört.«
»Ihre Städte haben ihm nie etwas getan.«
»Ich halte es für unwahrscheinlich, dass er sich die Mühe macht, zwischen verschiedenen Sorten von Menschen zu unterscheiden, Rafael. Er schafft sich einfach alle vom Hals, die Adepten genauso wie die anderen. Und wer wollte es ihm verdenken?«
»Es tut mir Leid«, sagte Weir.
Er zerbrach die Kugel und streute ihren Inhalt ins Meer.
Naqi sah ein, dass sie nichts mehr tun konnte; die kleinen schwarzen Körner zurückzuholen, war unmöglich. Sie brauchte nur ein einziges zu übersehen, und alles wäre so schlimm, als hätte sie keines gefunden.
Die Kügelchen verschwanden unter der olivgrünen Wasseroberfläche.
Es war vollbracht.
Weir sah sie an. Aus seinem Blick sprach die verzweifelte Bitte um Vergebung.
»Ich musste es tun, das begreifen Sie doch? Ich habe mir die Entscheidung wahrhaftig nicht leicht gemacht.«
»Ich weiß. Aber es war nicht nötig. Der Ozean hatte sich bereits gegen uns erhoben. Crane hat verloren. Ormazd ist besiegt.«
»Vielleicht haben Sie Recht«, sage Weir. »Aber ich konnte kein Risiko eingehen. Nun habe ich auf jeden Fall Gewissheit.«
»Sie haben eine Welt vernichtet.«
Er nickte. »Dazu kam ich hierher. Bitte geben Sie nicht mir die Schuld daran.«
Naqi öffnete die Box, in der sie das Behältnis mit dem Schiebertoxin verwahrt hatte, holte die Signalpistole heraus, entsicherte die Waffe und richtete sie auf Weir. »Ich gebe Ihnen nicht die Schuld. Nein. Ich hasse Sie nicht einmal für Ihre Tat.«
Er wollte etwas sagen, aber Naqi ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Aber ich kann sie Ihnen nicht vergeben.«
Schweigend saß sie allein im Boot und wartete, dass der Knoten aktiv würde. Ringsum setzten die hektischen Transformationen ein, die sie schon innerhalb der Seemauer beobachtet hatte. Aus dem Kern der organischen Strukturen spürte sie einen kalten, scharfen Wind.
Es war so weit.
Sie steuerte das Boot vorsichtig vom Knoten weg. Das erste Shuttle war zerstört worden, aber sie fühlte sich vor den Delegierten noch immer nicht völlig sicher. Gewiss hatten die anderen von dem Verlust erfahren, und bald schon würden weitere, von Rachedurst erfüllte Angreifer folgen. Der Ozean mochte versuchen, auch diese Neuankömmlinge zu zerstören, aber diesmal wären die Delegierten gewarnt und nicht mehr so leicht zu überrumpeln.
Einen Kilometer vom Rand des Knotens entfernt hielt sie an. Die rasenden Veränderungen, die sie schon einmal erlebt hatte, waren inzwischen weit fortgeschritten. Der Wind war zu einem heulenden Sturm geworden. Das Ende war nahe. Im nächsten Moment würde das Gift in den Kern des Knotens vordringen, um von dort aus die gesamte Biomasse in einen geistlosen Pflanzenklumpen zu verwandeln. Zugleich würde der Todesbefehl durch die Verbindungsnetze zu den anderen Knoten geschickt und dem Horizont entgegenrasen. Bei der bestehenden Netzwerk-Topologie hätte die Botschaft in nur fünfzehn oder zwanzig Stunden auch den letzten Knoten auf dem Planeten erreicht. Binnen eines Tages wäre alles vorüber. Die
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