Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
Volantor war kaum in der Luft, als die barocken Verzierungen verschwanden und der Rumpf so glatt wurde wie ein Spiegel. Childe schob die Steuerknüppel mit den Elfenbeingriffen nach vorne. Wir gewannen an Höhe und Geschwindigkeit. Mir schien, als flögen wir schneller, als die städtischen Vorschriften es erlaubten, und mieden die üblichen Luftkorridore. Ich dachte daran, wie er mir gefolgt war, wie er meine Vergangenheit ausgeforscht und veranlasst hatte, dass mein eigener Volantor mich im Stich ließ. Sicherlich war es auch keine Kleinigkeit gewesen, den öffentlichkeitsscheuen Trintignant ausfindig zu machen und aus seinem Versteck zu locken.
Obwohl Childe so lange fort gewesen war, hatte er deutlich mehr Einfluss in der Stadt als ich.
»Das Nest hat sich nicht sehr verändert«, sagte er und fegte durch eine dichte Gruppe von goldenen Bauwerken mit extravaganten Terrassen, die den Fieberträumen eines pagodensüchtigen Kaisers entsprungen schienen.
»Du warst also wirklich fort? Als du sagtest, du hättest deinen Tod vorgetäuscht, da dachte ich, du wärst nur untergetaucht.«
Seine Antwort klang eine Spur zögerlich. »Ich war fort, aber nicht so weit, wie du vielleicht denkst. Ich hatte eine Familienangelegenheit zu erledigen, die man am besten vertraulich behandelt, und ich hatte wahrhaftig keine Lust, aller Welt zu erklären, warum ich Ruhe und Frieden brauchte und allein sein wollte.«
»Und dich tot zu stellen, war die beste Lösung?«
»Wie gesagt, die Sache mit den Achtzig ging für mich besser aus, als ich sie hätte planen können. Natürlich musste ich eine ganze Reihe von Komparsen in dem Projekt bestechen, und ich will dir auch die Geschichte ersparen, wie wir an eine Leiche kamen … aber letztlich lief doch alles wie am Schnürchen.«
»Ich war völlig überzeugt, du wärst mit den anderen gestorben.«
»Meine Freunde hinters Licht zu führen, war mir nicht angenehm. Aber ich hatte mir zu viel Mühe gegeben, um mit ein paar indiskreten Bemerkungen womöglich den ganzen Plan zu Fall zu bringen.«
»Sie sind also alte Freunde?«, schaltete Trintignant sich ein.
»Ja, Doktor.« Childe sah sich nach ihm um. »Schon seit ewigen Zeiten. Richard und ich sind Kinder reicher Leute – vergleichsweise reich jedenfalls –, und wir hatten nicht genug zu tun. Für die Börse oder den üblichen Partyzirkus hatten wir nichts übrig. Wir interessierten uns nur für Spiele.«
»O wie reizend. Und was für Spiele, wenn man fragen darf?«
»Wir entwarfen Simulationen, um uns gegenseitig zu testen – unglaublich detaillierte Welten voller raffinierter Gefahren und Versuchungen. Labyrinthe aller Art, Geheimgänge, Falltüren, Verliese und Drachen, wir ließen nichts aus. In diesen Welten hielten wir uns monatelang auf und trieben uns gegenseitig zum Wahnsinn. Dann zogen wir ab und dachten uns neue Schwierigkeiten aus.«
»Doch mit der Zeit trat eine gewisse Entfremdung ein«, vermutete der Doktor. Seine synthetische Stimme klang seltsam piepsig.
»Richtig«, sagte Childe. »Aber die Freundschaft blieb. Nur hatte Richard so lange immer fremdartigere Szenarien entwickelt, dass er sich schließlich mehr für die psychologischen Hintergründe hinter diesen Tests interessierte. Und mich fesselten nur noch die Spiele selbst, nicht mehr die Planung. Leider war Richard nicht mehr da, um mich vor weitere Herausforderungen zu stellen.«
»Du warst immer der besseres Spieler von uns beiden«, sagte ich. »Irgendwann war es kaum noch möglich, mir etwas einfallen zu lassen, was dich fordern konnte. Du wusstest zu gut, wie mein Verstand arbeitet.«
»Er hält sich für einen Versager.« Childe drehte sich zu Trintignant um und lächelte.
»Tun wir das nicht alle?«, gab der Doktor zurück. »Und nicht ganz ohne Grund, wie man zugeben muss. Ich durfte meine zugegebenermaßen kontroversen Versuche nie bis an ihr logisches Ende weiterverfolgen. Sie, Mr. Swift, wurden gerade von den Menschen gemieden, die Ihre Verdienste auf dem Gebiet der spekulativen Alien-Psychologie hätten erkennen und würdigen sollen. Und Sie, Mr. Childe, haben nie eine Herausforderung gefunden, die Ihrer unbestrittenen Begabung würdig gewesen wäre.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie mich beobachtet hatten, Doktor.«
»Hatte ich auch nicht. Ich habe mir erst im Lauf unserer Bekanntschaft ein Bild von Ihnen gemacht.«
Der Volantor sank in ein hell erleuchtetes unterirdisches Einkaufszentrum mit vielen kleineren und größeren
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