Rhanmarú - Das tote Land (German Edition)
Sie konnte immer noch keine Magie anwenden.
Zu stark war die Anziehungskraft des Nebels. Automatisch griffen alle zu ihren
Schwertern. Die Jugendlichen standen eng beieinander. Erma begriff, dass sie sich
gegenseitig stützten. Ihre Gesichter waren bleich und völlig ausdruckslos. Sie sah,
dass auch Aeneas neben ihr stand, schwer auf sein Schwert gestützt. Er schwankte
leicht, und sein Gesicht war grau.
Erma bat atemlos: »Lass uns jetzt nicht allein! Das würde ich dir nie verzeihen.
Wage es ja nicht, einfach umzufallen!«
»Tu ich ja nicht«, antwortete ihr Verlobter schwach.
»Dann guck anders«, wurde er aufgefordert.
Er sah sie verständnislos an. »Hhm? Wie soll ich denn gucken?«
»Nicht so müde aber auch nicht so, dass sie denken, du forderst sie heraus. Versuch
lässig, freundlich und entschlossen drein zu schauen«, erklärte sie hastig.
Er war anscheinend mit diesen Anweisungen überfordert, sein Blick war völlig
ratlos.
»Ich glaub, so ist es ganz gut«, meinte Lennart mit einem schiefen Lächeln.
An die zwanzig Jagos kamen auf sie zu, und sie trugen Reiter.
»Gott im Himmel!«, murmelte Lennart frustriert. »Hat das denn nie ein Ende?«
Direkt vor ihnen wurden die Reittiere gezügelt. Ein Mann stieg ab. Er war nicht
groß, trug weite, weiße Gewänder, wie ein Wüstenscheich. Seine Haare waren
ebenfalls weiß und reichten bis über die Schultern. Viele Glitzerperlen waren darin
eingeflochten. Um Hals und Arme trug er jede Menge Schmuck, der permanent
klimperte. Seine Lippen waren grellrot, seine Augen schwarz umrandet. Seine
Bewegungen wirkten geziert.
Adrian flüsterte leise: »Das kann nicht wahr sein, wir werden, nach allem, was
wir hinter uns haben, ausgerechnet von diesem Clown erledigt.«
Der Mann schenkte ihnen kaum Beachtung, sondern ging zu einem Jago und
half einer Dame beim Absteigen.
Erik musste unwillkürlich schlucken. Sie war das schönste Geschöpf, das er
jemals gesehen hatte. Klein und zierlich mit hüftlangen, hellblonden, gewellten
Haaren, riesengroßen leuchtend blauen Augen und einem herzförmigen Gesicht,
das nicht den geringsten Makel aufwies. Sie trug ein weißes, langes Kleid, das mit
Goldbordüren abgesetzt war und im Gegensatz zu ihrem Begleiter zierte sie lediglich
eine goldene Kette mit einem roten Stein.
Mit einem Lächeln, das die Augen strahlen ließ, trat sie vor und begrüßte sie
mit melodischer Stimme: »Willkommen in Ancor! Ich bin Ailina. Eure Ankunft
wurde vorhergesagt. Wir wissen, aus welchem Grund ihr kommt.« Sie machte eine
kurze Pause und sah in die Runde. »Eure Waffen benötigt ihr nicht. Wir sind nicht
eure Feinde.«
Auf ein Nicken von Aeneas hin, steckten alle erleichtert die Schwerter weg.
Der Ringlord stellte sich und seine Begleiter kurz vor. »Wir haben nicht damit
gerechnet, hier auf Menschen zu treffen«, fügte er an.
Ailina lächelte. »Wir sind Nachfahren der Marù. Der Drache, der seinerzeit das
Tote Land erschuf, trennte uns von Almantis. Wie Gefangene leben wir seit
Generationen in unmittelbarer Nähe zum Drachenberg. Aber das können wir später
ausführlich besprechen. Ihr solltet euch zunächst von der Reise erholen. Ihr seht
sehr erschöpft aus.« Sie winkte nach hinten und einige Jagos wurden gebracht.
»Hat das mit der freundlich, lässigen Entschlossenheit doch nicht so
geklappt?«, raunte Adrian Erik zu.
»Sieht fast so aus«, erwiderte der erleichtert.
Alle dachten daran, dass sie die Erklärung, keine Feinde vor sich zu haben, erst
kürzlich gehört hatten. Niemand machte jedoch eine Bemerkung darüber. Es war
völlig gleichgültig. Sie hätten ohnehin nichts gegen die Bewohner von Ancor ausrichten
können.
Erik hatte schon Mühe, in den Sattel zu kommen und war dankbar, dass ein
junger Mann ihm hoch half und sich hinter ihn setzte. Neben sich hörte er Adrian
erleichtert aufseufzen. »Ein Schlafwagen wäre mir zwar lieber, aber dieses Teil ist
auch okay.«
Die Jugendlichen bekamen alle einen Begleiter. Für die Erwachsenen standen
eigene Jagos zur Verfügung. Erma sprach leise mit ihrem Verlobten und bestand
dann darauf, hinter ihm aufzusitzen.
Erik hörte ihn fragen: »Darf ich jetzt?« Auf Ermas »Ja!« hin, sank er umgehend
auf den Hals des Tieres. Erik konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Fragt, bevor er umfällt! Meinst du, er steht unter dem Pantoffel?«, murmelte
Adrian mit einem Anflug seines normalen Humors.
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Kapitel 12
Der Ritt war relativ
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