Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
– so war es den verwobenen Grauen versprochen worden.
Der jungen Novizin stockte der Atem. Das Wehklagen der Opfer schnürte ihr die Kehle zu. So sehr sich Auriel auch zwingen wollte, wieder auf den schwarzen Pfad zurückzukehren, es gelang ihr nicht. Ihr Magen rebellierte, krampfte sich wie von Faustschlägen gepeinigt zusammen, wann immer ein weiteres Opfer sein Ende fand.
Ein Leib nach dem anderen wurde sofort nach der Hinrichtung mit Stricken an Ästen der Opfereiche aufgeknüpft. Bereits jetzt war der Boden rund um den Baum herum blutgetränkt.
Einen schrecklicheren Anblick könnte Drewja nicht abgeben , dachte Auriel. Sie schauderte bei der Betrachtung der toten und sterbenden Wesen, die sacht vom Wind hin und her getrieben wurden, während das Laub des riesenhaften Baumes sanft raschelte. Ich bin führwahr eine geistesarme und schwache Kreatur! Niemals zuvor wäre mir in den Sinn gekommen, diese Tiere zu bedauern. Es sind doch bloß Tiere, nichts weiter. Einfache, dumme Kreaturen, deren Lebenssinn einzig danach steht, zu fressen und gefressen zu werden. Die Novizin schloss traurig die Augen. Dieser Abend hatte Gefühle in ihr wachgerufen, die sie schon lange überwunden geglaubt hatte.
„Ich darf mir nichts vormachen!“, belferte sie ärgerlich. „Ich sollte mich lieber auf die Strafe vorbereiten, die der Hohepriester mir auferleg...“
Noch bevor die junge Frau ihre Worte vollenden konnte, wurde ihre gesamte Aufmerksamkeit unvermittelt von einem dröhnenden Ton vereinnahmt, der sich schrill und anhaltend durch die Nacht fraß. Wie dichter Nebelschleier verweilte der Laut über dem Wald und der Lichtung.
Ein Kriegshorn ! Auriels Herzschlag wurde ungestüm. Hitze stieg in ihre Wangen, ihre Hände wurden kalt. Voller Hast suchten ihre Blicke die Umgebung ab. Es dauerte nur wenige Atemzüge, bis sie zwischen den Bäumen drei große Fackelzüge erkennen konnte, die sich unaufhaltsam ihren Weg durch Bäume und Unterholz bahnten.
Wie gewaltige Schlangen mit brennenden Leibern fraßen sie sich Stück um Stück voran und hielten genau auf den Opferplatz zu. Schweißperlen entstanden auf Auriels Stirn. Ihre Atmung wurde schneller. Die junge Zauberin ahnte, dass die Wesen, die, mit Fackeln und Klingen bewaffnet, zu Hunderten durch den Wald nahten, keine guten Absichten im Schilde führten. Und sie glaubte sogar zu wissen, um wen es sich bei den Angreifern handelte.
Die Uneingeweihten! Diese einfältigen Menschen und ihre Priester , zuckte es durch ihre Gedanken. Sie kommen, um sich für die Vergehen unseres Zirkels an ihresgleichen zu rächen. Sie werden uns töten, uns jagen.
„Bei den Göttern“, stieß sie aus. Vor Angst und Anspannung wagte sie kaum zu atmen.
Schnell blickte sie zurück, um sich zu vergewissern, dass nicht von hinten auch noch ein Fackelzug nahte. Doch erleichtert stellte sie fest, dass in dem hochgelegenen Waldstück hinter ihr nichts als Dunkelheit lag.
Die Zauberer auf der Lichtung hatten das Kriegshorn ebenfalls gehört – auch sie blickten sich nach allen Richtungen um. Doch als sie die, sich aus verschiedenen Richtungen nähernden, Fackelzüge erblickten, war es zu einer Flucht bereits zu spät.
Die Dunkelheit der Nacht wurde von dem Schein Hunderter Fackeln verschluckt. Unruhe ergriff die Reihen der Zauberer. Während einige panisch zu fliehen versuchten, stand für die Übrigen fest, dass ihr Heil einzig im Kampf liegen konnte. Nur wenige waren durch Drogen und Rauschkraut so benebelt, dass sie den Angriff nicht bemerkten.
„Die Priester!“, schrie ein Mann warnend. „Sie kommen, um die Opfer zu rächen.“
„Richtet die übrigen Tiere und die Menschen hin!“, brüllte eine andere Stimme. „Vollendet das Opfer! Für die Götter!“
„Für die verwobenen Grauen!“
Gleichzeitig hallten die empörten Stimmen der Angreifer durch die Nacht.
„Tod den Schwarzhexern!“
„Verbrennt sie!“
„Vernichtet das elende Gezücht der Schattenwelten!“
Voller Hass und mit zornerfüllten Augen schleuderten sie ihre Forderungen hinaus und verlangten nach Rache für ihre Toten.
„Ergebt Euch, dann werden wir davon absehen, Euch zu foltern, bevor wir Euch töten.“
„Wir verlangen Vergeltung für die Schändungen, die Ihr verbrochen habt!“
„Niemals!“ Die Zauberer gruppierten sich schützend um die Opferstätte. Wie ein Mann standen sie für ihre Ziele ein.
„Verschwindet!“ Die Stimme des Hohepriesters hallte wie eine finstere Prophezeiung durch die
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