Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
Waldläufer im Dienst meines Fürsten“, unterbrach der Fremde gelassen die aufgeregten Worte der zierlichen Frau. „Ich habe einen wichtigen Auftrag zu erfüllen.“ Auriel bemerkte einen deutlichen Akzent in seiner Stimme, was ihr bedeutete, dass der Elf gewöhnlich wohl kaum ihre Heimatsprache Bønfjatga – die Sprache der Menschen – sprach.
Rhavîn stand langsam vom Boden auf. Auriel beobachtete, wie der Elf einen blitzenden Dolch aus schwarzlila Metall in einer Scheide an seinem Stiefel verschwinden ließ.
Ich hoffe, er hatte nicht vor, mich anzugreifen , fürchtete Auriel und schauderte. Ich habe ihn nicht bemerkt. Selbst, als er bereits neben mir kniete, ist mir seine Anwesenheit nicht aufgefallen. Ich bin nicht aufgewacht. Er hätte mich töten können, ohne dass ich mich gewehrt hätte. Neben ihrer Furcht und ihrer Verblüfftheit keimte ein Funken von Zorn in ihr auf. Verflucht seiest du, Elf! Du wagst es zum letzten Mal, dich so nah an mich heranzupirschen.
Die Hexerin sprang ebenfalls auf. Im gleichen Moment bemerkte sie, dass Kentaro nicht mehr an ihrer Seite weilte. Dies geschah häufiger und so war sie sich sicher, dass der Anderdachter in der Frühe ausgezogen war, um nach frischem Gras oder einer Quelle zu suchen.
„Weshalb seid Ihr zu mir gekommen, Rhavîn?“, wollte Auriel misstrauisch wissen. Kritisch musterte sie den Elfen. Ihre Finger schlossen sich fester um den Griff des Greifen. „Wolltet Ihr mich ausrauben?“
„Nun“, gab der dunkelhaarige Mann kühn zurück. Er hatte sich bereits von Auriel abgewandt. Nun blickte er über die Schulter zurück zu ihr. Wie beiläufig warf er einen Blick auf Auriels filigranen, silbernen Stirnreif. „Hätte ich es gewollt, hätte ich es getan. Während Ihr geschlafen habt wie ein Säugling.“ Ein kühles Lächeln huschte über seine Lippen, Auriel begann zu frösteln. „Zu töricht sind die Menschen, selbst wenn sie Zauberer sind“, fügte der Waldläufer in ironischem Tonfall hinzu. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Anscheinend war Euer Begehr ein anderer“, versetzte Auriel bissig. In Anbetracht der Tatsache, dass dieser Fremde völlig allein war, flackerte Mut in Auriels Herzen auf. Sie fühlte sich dem Mann ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Immerhin war er bloß ein Waldläufer, sie dagegen aber eine Zauberin der dunklen Künste. „Sagt Ihr mir freiwillig, weshalb Ihr Euch zu mir gesellt und mich angestarrt habt oder muss ich Euch zuvor die Kehle aufschlitzen?“ Die Novizin hatte keine Angst vor dem Waldläufer, schließlich hatte sie schon wesentlich gröbere Männer getötet und sich mit mächtigen Zauberern angelegt. Zudem gehörten Elfen ohnehin zu den Gegnern der schwarzen Künste. Für Auriel ein weiterer Grund, den Waldläufer zu töten. So hoffte sie mit einem dämonischen Lächeln auf den Lippen darauf, dass ihr Gegenüber einen Fehler begehen würde und sie ihn angreifen konnte.
„Genau genommen hatte ich mit dem Gedanken gespielt, Euch zu töten, Auriel“, erwiderte Rhavîn amüsiert, ohne mit der Wimper zu zucken. „Doch dann beschloss nachzusehen, ob es Euch gut geht. Denn Ihr habt Euch auffällig hin und her gewälzt und saht aus, als läget Ihr im Fieber. Und wie Ihr seht, habe ich meine erste Entscheidung verworfen und den Dolch weggesteckt.“
„Und wie Ihr seht, brauche ich Eure Hilfe nicht!“, schnaubte Auriel empört. Sie fühlte sich, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. Zugleich bewunderte sie die Dreistigkeit des fremden Mannes. „Ich brauche niemanden, der sich um mich kümmert.“
Der Elf drehte sich wieder zu Auriel um. Breitbeinig stand er vor der Hexerin. Er betrachtete sie, ohne dass sich auch nur die kleinste Regung oder Emotion in seinem Gesicht widerspiegelte. Lediglich seine Augen funkelten belustigt.
Rhavîn trug eine weite Hose aus braunem Stoff, der im Schein der Sonne lila irisierte, und darüber Stulpenstiefel aus schwarzem Leder. Beide waren mit ledernen Bändern umwickelt und der rechte Stiefel trug zusätzlich zu der Dolchscheide des Elfen ein gebogenes Wurfmesser – ein Kanagi-Ten.
Der Oberkörper des Waldläufers wurde von einem nachtblauen Hemd bedeckt, das zu großen Teilen von einem ärmellosen ledernen Harnisch verdeckt wurde. Dieses Hemd reichte dem Elfen bis weit über die Oberschenkel hinab. Während es sonst recht weit und weich um seinen Körper fiel, trug es der Mann an seinen Armen durch breite, lederne Bänder zusammengefasst, die von seinen
Weitere Kostenlose Bücher