Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
Jahr 376 nach dem Bündnis und der Schatten, der mich quält, ist zum Greifen nah. Schon spüre ich seinen Atem und fühle, wie seine garstigen Klauen nach meinen Haaren greifen, meine Handgelenke festhalten und mich am Entkommen hindern.
Seit Tagen schon finde ich keinen Schlaf mehr. Und falle ich dennoch einige Zeit in ein rastloses Dösen, suchen mich die finsteren Geister dunkler Magie heim.
Ich vermag kaum mehr klar zu denken, zu eng umkreisen meine Sinne die elenden Gedanken an meinen baldigen Tod, die mein Herz wie eine eiserne Klaue umkrallen.
Von Tag zu Tag erkenne ich mehr mein Ende nahen. Auch die Männer meines Rates vermögen mir keine gute Kunde zu bringen. Alles deutet darauf hin, dass sich der Bote der Finsternis auf den Weg begeben hat, mich zu vernichten. Ich kann vor Pein kaum mehr schreiben. Meine blutunterlaufenen Augen sehen die Schrift unter meinen zitternden Händen lediglich noch als fahle Striche ohne Sinn und Bedeutung. Ich befürchte, dass ich den nächsten Eintrag in meine Chroniken nicht mehr selbst werde tätigen können – die Angst und die immer wiederkehrende Vision vom Tage meines Todes verwehren mir beinah jede kontrollierte Handlung.
Die Ältesten des hohen Rates haben mir heute mitgeteilt, dass ihre Rituale und Zauber bestätigen konnten, dass mein Feind naht, dass er aufgebrochen ist, um seinen finsteren Plan durchzuführen. Sie sehen in ihren Deutungen, dass mein Untergang naht, sie sehen meinen Tod auf menschlichen Sohlen heranschleichen. Wie auch ich müssen sie tatenlos zusehen, wie sich die Vorboten meiner Zerstörung in die Falten meines alternden Gesichtes malen.
Noch wissen weder sie noch ich, wer oder was mich bedroht, doch erahne ich einen schwarzen Schatten, der kommt, um sich über meine Seele zu legen. Und so komme ich zu dem Gedanken, dass sich ein finsteres Wesen, schwarze Magie oder dergleichen mit mir anzulegen sucht.
Die Ältesten wagen es nicht, eine Vermutung zu äußern und rufen Magier und Druiden aus allen Regionen der Nordmarken herbei, um sie zu bitten, sie bei ihren Vorsehungen zu unterstützen. Stundenlang widmen sie sich ihren Zaubern, wirken Magie, sodass das gesamte Land vor magischen Strömen und Energien zu funkeln und zu leuchten beginnt. Aber dennoch vermögen sie es nicht das Antlitz des Schreckens an den Tag zu befördern, der mir nach dem Leben trachtet.
Ich kann kaum noch atmen. Meine Zunge klebt an meinem Gaumen, obwohl ich, da ich diese Zeilen schreibe, unablässig trinke.
Mein Volk will mir beistehen, das Unheil abwenden, das weiß ich und dennoch ...
... und dennoch bin ich mir sicher, in meinen Träumen und Gedanken mehr des Unheils erahnen zu können, als sie es gemeinsam vermögen.
Ich sehe grässliche Schatten, höre Stimmen von solcher Grausamkeit, dass sie mir beinah das Gehör zerfetzen, und schmecke noch nicht vergossenes Blut auf meiner Zunge – mein Blut.
Die Ältesten wollen mir weismachen, dass meine Ängste die Visionen verstärken und ich mich allein auf ihre Version der Prophezeiungen verlassen soll. Doch bin nicht ich es, Grímmaldur der Schwarze, der allmorgendlich mit Blut auf den Lippen erwacht, mit rasendem Herzen und mit einem Gefühl, als stecke ein Dolch tief in meinem Herzen?
Muss nicht ich die Gefühle, die Qualen und die Todesängste ertragen?
Und sind es letztlich nicht meine ureigenen Visionen und Vorsehungen, die mein Leben betreffen? Und meinen Tod? Ist es somit nicht mein Recht, diese Visionen wahrzunehmen, solange sich mein Brustkorb noch senkt und hebt?
Verflucht seien die Ältesten mit ihren Vorschriften! Schon bald werde ich vor meinen Ahnen stehen, den Göttern Rechenschaft leisten – und ihnen berichten müssen, dass ein paar sogenannte Älteste mich die letzten Tage meines Lebens manipuliert haben! Die Altvorderen werden höhnen und mich verlachen, welche Schmach.
Bei den Göttern, gerade gestern noch wollten mir die Ältesten einreden, dass noch Hoffnung für mich bestünde und das schlimme Schicksal abgewendet werden kann! Ein Mädchen soll mir Leben schenken, ein Mädchen ...
Bei den Göttern, die Welt treibt Schabernack mit mir und meine Verbündeten reden von Stunde zu Stunde mehr und mehr wirr.
Oder bin ich es ...?
Ich muss meine Aufzeichnung nunmehr beenden, mein erbarmungswürdiger Kopf erträgt diese Anstrengung nicht länger.
Ich werde mich ein wenig ausruhen und dann versuchen, an diesem herrlichen Herbsttag ein wenig auszureiten. Vielleicht wird meine
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