Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
Seite, um dahinter mit erhobener Waffe nach einem möglichen Feind zu suchen. Es muss an meinen Träumen liegen, daran, dass er mir in jeder Nacht näher zu sein scheint, als sonst ein Wesen. Hoffentlich ist ihm nichts geschehen.
Als sie den Vorraum mit dem Stall betrat, erkannte sie, dass sich Kentaro in einer dunklen Ecke verbarg, während Nymion am Eingang stand und in die Nacht hinausblickte. Es regnete noch immer. Sturmböen peitschten den Regen durch die Nacht. Der lehmige Boden zwischen den Häusern war überspült von Pfützen und Rinnsalen, gefüllt mit schlammigem Regenwasser.
Nymion hatte Auriel längst bemerkt. Er drehte sich herum und musterte sie aus tiefschwarzen Augen. Sie glänzten wie bodenlose Teiche aus der Unterwelt und spiegelten sein gesamtes Wissen in überwältigendem Glanz wider.
„Was ist geschehen?“, wisperte Auriel. Sie trat behutsam neben das Einhorn, einen Blick nach draußen werfend. Ein kalter Herbststurm ließ die Wipfel der Bäume erzittern, trieb Laub über den Boden und ließ den Regen in Böen und Schauern auf die Erde schlagen. „Hast du den Schrei gehört?“ Auriel wandte sich Nymion zu. Ihr fordernder Blick streifte das anmutige Tier, verfing sich in seinen Augen.
Nymion nickte kaum merklich und entgegnete mit seiner volltönenden Stimme so gedämpft wie möglich: „Ja, Auriel. Es sind drei Schreie erklungen, dicht aufeinander folgend. Rhavîn ist ausgezogen, um der Quelle auf den Grund zu gehen.“
„Den Göttern sei Dank“, flüsterte die Zauberin erleichtert. „Ich hatte schon befürchtet, es sei etwas Schlimmes geschehen.“ Nervosität ließ ihre Adern erzittern, zuckte wie ein Dämon durch ihren Körper.
„Nun, noch bin ich nicht in der Lage, die Situation einzuschätzen“, gab Nymion streng zurück. „Der Schrei klang nicht wie der eines Menschen, doch wissen tue ich es selbstverständlich nicht. Wir müssen abwarten, welche Kunde Rhavîn bringt.“
„Nein, Nymion!“, hielt Auriel dagegen. „Ich werde ihm folgen, vielleicht braucht er meine Hilfe!“
Das schwarze Einhorn erwiderte nichts, sondern beobachtete, wie die Hexerin in die Nacht hinauslief, als ein weiterer Schrei durch die Dunkelheit gellte. Auriel orientierte sich einen kurzen Moment und lief dann in die Richtung, aus welcher die klagende Stimme an ihr Ohr gedrungen war.
Die Zauberin war sich ebenfalls sicher, dass dieser Schrei keiner menschlichen Kehle entstammen konnte, doch kannte sie auch kein Tier, das solche Laute von sich geben konnte.
Aufmerksam und jederzeit auf einen Angriff gefasst, lief sie über den überschwemmten Lehmboden und blickte sich in alle Richtungen um. Das Unwetter verschluckte jedes Geräusch, das sie verursachte, tarnte sie im Grau des Regens.
Ihr Weg führte die Hexerin zwischen den Häusern hindurch, in den lichten Wald hinein und in die Richtung, in der sie und ihre Begleiter das Tal am kommenden Morgen wieder verlassen wollten.
Zwischen den Bäumen toste der Sturm, ließ Äste brechen und die Rinde der älteren Bäume krachen und erzittern. Immer wieder fegte der Orkan Laub und Zweige in Auriels Gesicht. Die junge Frau hatte Mühe, in Dunkelheit und Sturm etwas zu erkennen.
Als sie ungefähr fünfzig Schritte weit in den Wald hineingegangen und über Unterholz und herabgestürzte Äste gestolpert war, erkannte sie plötzlich eine Silhouette vor sich. Obwohl die Umrisse mit der Nacht verschmolzen, erkannte sie, dass es sich bei der Person um Rhavîn handeln musste.
„Rhavîn“, zischte sie kaum hörbar, erreichte aber dennoch ihr Ziel: Die Person vor ihr drehte sich um und kam auf sie zu.
Nur einen Herzschlag später stand Rhavîn vor ihr. Seine schwarzen Augen blitzten Auriel entgegen, glommen lila in die Nacht. Die dunklen Tätowierungen, die seine Augen einrahmten und seine Lider schwärzten, ließen das Gesicht des Dunkelelfen im Schatten versinken.
„Auriel! Gut, dass du hier bist.“ Rhavîn fasste seine Gefährtin bei den Schultern, sah sie eindringlich an. „Ich habe etwas entdeckt, das ich dir zeigen möchte.“
Auriel wunderte sich, allerdings nur kurz. Dann folgte sie dem Sícyr´Glýnħ durch den Wald bis zu einer kleinen Anhöhe, die sich nur wenige Schritte entfernt im Wald erhob. Dort hielt Rhavîn inne, Auriel trat an seine Seite. Der Meuchelmörder lenkte Auriels Blicke auf einen schmalen Lehmpfad, der von Skogrigg aus durch den Wald zum Rand des Tals hin führte.
„Sieh dort!“, flüsterte er und wies auf einen dunklen
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