Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
nicht zu erkennen war, dass sie erwacht war, öffnete die Hexerin langsam die Augen.
Aus den Augenwinkeln erkannte sie, dass sie sich noch immer in der Thing-Halle befand. Noch immer beherrschte die Dunkelheit der Nacht das Land. Das magische Feuer neben ihr knisterte leise. Auriel spürte kühles Metall an ihrer Hand.
Meine Waffen sind noch da, welch ein Glück. Auriel lauschte in den Raum hinein. Ich höre doch etwas. Was ist das nur? Sie versuchte, allein durch eine Bewegung ihrer Augen so viel erkennen zu können, wie möglich. Ich bin mir sicher, dass jemand dort ist. Auriel bemerkte einen Schatten. Verlässt Rhavîn mich schon wieder?
Ein weiteres Knacken ertönte, gefolgt von einem gurgelnden Seufzer. Das leise Ächzen, das an ihre Ohren drang, ließ Auriel erschaudern. Die Hexerin fuhr in die Höhe. Ein Schrei entfuhr ihr, als sie voller Entsetzen sah, was geschehen war.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers lag Rhavîn regungslos auf dem Boden. Er lag auf der rechten Seite, das Gesicht dem Feuer zugewandt, regungslos. Über dem Dunkelelfen kniete Revelya, den Kopf tief zwischen Schulter und Kinn des Mannes verborgen. Deutlich konnte Auriel zwei schmale Rinnsale aus Blut erkennen, die über die helle Haut am Hals des Meuchelmörders zu Boden flossen. Unter seinem Gesicht hatte sich bereits eine kleine Lache aus dunkelrotem, fast schwarzem Blut gebildet.
„Du verfluchte Dämonenbraut!“, kreischte Auriel. Schreiend riss sie ihren Dolch in die Höhe, um sich auf die Vampiress zu stürzen.
Revelya kreischte ohrenbetäubend, ließ von ihrem Opfer ab und sprang blitzschnell auf, sodass sie im Bruchteil eines Lidschlags unmittelbar vor Auriel stand.
Ihre Finger waren zu krallenbewehrten Klauen geworden, ihr Gesicht war dämonisch verzerrt. Aus ihrem Mund ragten zwei spitze, bluttriefende Reißzähne und ihre Augen glommen rot wie die Feuer der Unterwelt. Sie fauchte wild, zischte wie eine Bestie.
Auriel schauderte und scheute dennoch den Angriff nicht. „Stirb, du untote Kreatur!“ Der Dolch spiegelte den zuckenden Schein des magischen Feuers wider, als Auriel die Klinge durch die Luft sirren ließ. Immer und immer wieder hieb sie auf die Vampiress ein, doch Revelya gelang es jedes Mal, sich mit einem höhnischen Lachen unter der glänzenden Klinge wegzuwinden, sodass sie nicht verletzt werden konnte.
„Scher dich fort, du Biest!“, kreischte Auriel. Sie hörte im gleichen Moment, dass im Stall des Hauses Kentaro und Nymion aufsprangen und in ihre Richtung rannten. „Du hast uns in die Irre geleitet, um uns den Tod zu schenken!“
„Gewiss! Meinst du, dieses Dorf hat sich von selbst geleert?“ Revelya zischte siegessicher. „Denkst du, ein Fluch liegt auf Skogrigg?“ Fauchend lachte sie auf. „Du hast recht, denn dieser Fluch bin ich!“ Als sie den entsetzten Ausdruck im Gesicht ihrer Gegnerin bemerkte, fügte sie genussvoll hinzu: „Und es wird noch schlimmer kommen, meine Liebe!“ Die Vampiress lachte schrill auf. Sie sprang in die Höhe, wollte sich auf Auriel stürzen.
Im gleichen Moment nahte Nymion. Er beschwor einen Zauber gegen die Angreiferin. Sein Horn leuchtete auf, grelle Blitze zuckten daraus empor. Nur einen Herzschlag später entlud sich die magische Energie. Ein breiter Strahl aus gleißendem Licht schoss aus Nymions Horn quer durch den Raum. Die Wände der Thing-Halle reflektierten das helle Licht und das mit Reet gedeckte Dach entzündete sich an einigen Stellen durch die enorme Hitze des magischen Geschosses.
Revelya sprang geschickt zur Seite. Die Vampiress rollte sich blitzschnell ab, huschte an Nymion und Kentaro vorbei und verschwand nach draußen.
„Stehen geblieben!“, donnerte Nymion. Er zögerte nicht und jagte der Vampiress hinterher. Sofort schickte er ihr einen Zauber hinterher, doch dieser verfehlte sein Ziel.
Die Magie des Einhorns traf die Holzsäule, an deren Fuß noch immer die Stricke lagen, mit der Revelya gefesselt worden war, und zerfetzte sie in Tausende Stücke. Jede einzelne zersprengte Faser implodierte. Schließlich blieb nichts von der Säule zurück, als glitzernder Staub. Die Decke des Langhauses bebte ein wenig, hielt aber stand. Einige Flammen zuckten aus ihr hervor, sengten Löcher in das trockene Reet.
Als Nymion, der sich in dem schmalen Gang nur schwer umdrehen konnte, dicht gefolgt von Kentaro, das Freie erreichte, stürzte Auriel neben Rhavîn zu Boden.
„Rhavîn!“, rief sie voller Panik. „Rhavîn, wach doch auf!“
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