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Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)

Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)

Titel: Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Höcker
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sie, dass sie aufrecht sitzend an einem breiten Pfahl lehnte. Die Zauberin wollte aufspringen, doch sie konnte nicht. Viele dicke Stricke fesselten sie an diese Säule – sie vermochte sich kaum zu bewegen. Ihre Arme waren auf dem Rücken verschränkt, die Hände berührten einander und den weichen Erdboden, auf dem die Zauberin saß. Die Schnittverletzungen an ihren Fingern waren klebrig und brannten wie Feuer.
    „Auriel!“ Abermals klang das leise Rufen an ihr Ohr. Die Zauberin erkannte Rhavîns Stimme.
    „Rhavîn?“ Die Hexerin wand sich, drehte den Kopf so weit sie konnte, um sich umzublicken.
    Ein erleichtertes Seufzen entwich ihrer Kehle. Rhavîn saß auf der rückwärtigen Seite des Pfahls, ebenfalls gefesselt. Er blickte über seine Schulter zurück, um Auriel sehen zu können. Wenige blasse Mondstrahlen fielen auf seine helle Haut. Silbrig spiegelten sie sich in seinen schwarzen Augen wider, die erfüllt waren von dem typischen, unirdischen Glimmen, wie immer bei Dunkelheit.
    „Geht es dir gut?“, wollte Rhavîn wissen. Auriel hörte an dem Klang seiner Stimme, dass es dem Sícyr´Glýnħ selbst schlecht gehen musste.
    „Ja“, hauchte die Hexerin. „Mir geht es gut. Du aber klingst sehr schwach.“ Auriel blickte sich mühsam um, versuchte zu erkennen, wo sie sich befanden. Dabei stellte sie fest, dass sich der Pfahl innerhalb einer Felsgrotte befand, die in einen Berg hineingeschlagen worden zu sein schien. Dort, wo eine große, halbrunde Öffnung hinausführte, versperrten zahlreiche Metallstangen einem Gitter gleich den Weg. Entlang der Wände boten viele Halterungen und Ketten Platz für weitere Gefangene.
    „Es liegen überall Knochen herum“, flüsterte Rhavîn. Der Dunkelelf konnte bis in die hintersten Winkel der Höhle blicken und sah, dass etliche Gefangene in dieser Höhle ihren Tod gefunden hatten. „Knochen und Leichen, schon halb verwest. Wir sitzen auf einem Totenfeld.“
    Auriel schauderte. Mit einem Mal spürte sie das Bedürfnis, sich an Rhavîn zu schmiegen.
    „Ich bin so glücklich, dass du wieder aufgewacht bist“, flüsterte sie mit warmer Stimme. „Ich habe mir solche Sor...“ Aus Scham vor ihren Gefühlen unterbrach sie sich selbst. Sie räusperte sich. „Weißt du, wo wir hier sind?“
    Auriel fühlte, dass der Dunkelelf seinen Kopf schüttelte – sein langes Haar kitzelte in ihrem Nacken. Sie glaubte spüren zu können, dass Rhavîn lächelte und erhoffte sich freundliche und tröstende Worte von ihm.
    Mit leiser Stimme antwortete der Sícyr´Glýnħ dann: „Ich bin auch erst hier aufgewacht, ebenso wie du. Mir geht es nicht gut, ich bin geschwächt.“ Rhavîn mühte sich vergeblich, sich aus den Fesseln zu befreien. Unerwartet berührten seine kühlen Hände Auriels Finger. Der Dunkelelf umfasste sie, so gut es in seiner misslichen Lage ging, und drückte sie sacht.
    Es fühlte sich an wie ein Stich in ihr Herz und dennoch freute sich Auriel über diese Geste. Sie spürte ganz tief in ihrem Inneren, dass sie für Rhavîn mehr empfand als Freundschaft. In diesem Moment wusste sie, dass ihre allnächtlichen Träume eine Prophezeiung waren, eine Deutung ihrer Zukunft.
    Eine Zukunft an Rhavîns Seite? , fragte sie sich verträumt. Ihr Bauch kribbelte, ihre Beine wurden weich. Auriel tastete sehnsüchtig über Rhavîns kalte Hände. Sie wünschte, er würde sie niemals wieder loslassen. Diese zarte Berührung war der bisher sinnlichste Augenblick im Leben der Zauberin. Sie schluckte, ihr Mund wurde trocken. Ich wünschte, es könnte so sein. Wenn wir uns doch nur hier befreien könnten. Was würde ich für ein Leben an seiner Seite geben ... Aber dazu müsste ich ihm meine Zuneigung gestehen, ihm wie ein einfacher, schwacher Mensch meine Gefühle preisgeben. Ob ich das kann? Auriel schluckte nochmals. Ob ich das tun sollte? Die Götter werden mich verachten. Ich werde mich verachten. Ein Seufzer vom Grund ihres Herzens entfuhr ihrer Kehle. Sei es drum!
    „Rhavîn ...“ Auriel setzte zu einem Erklärungsversuch an. „Rhavîn, ich mag dich sehr. In den letzten Stunden bist du mir näher gewesen, als sonst jemand in meinem ganzen Leben zuvor es war.“
    Die Hexerin spürte, dass sich der Griff des Dunkelelfen lockerte. Er entzog ihr seine Hände. Auriel fühlte seine Berührung verblassen wie einen Nachtfalter, der in die Ferne flog. Die Hexerin wusste, dass sie alles aufs Spiel setzte, sogar ihr Leben. Doch sie konnte nicht aufhören zu sprechen. Jetzt, wo sie

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