Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
einmal begonnen hatte, schwach geworden war, konnte sie nicht wieder umkehren.
„Rhavîn, ich weiß, dass du mich zu Beginn unserer Bekanntschaft töten wolltest, mich verachtet hast als das, was ich bin – ein Mensch. Du hast es mir selbst gesagt. Ich weiß auch, dass du mich nur am Leben gelassen hast, da du gespürt hast, dass ich eine Zauberin bin und über magische Fähigkeiten verfüge, die dir vielleicht nützlich sein könnten.“ Die junge Frau seufzte aus tiefster Seele, schluckte bittere Tränen hinunter. „Dass du ein Sícyr´Glýnħ bist, ein Dunkelelf, und kein dem Licht zugewandter Énebiel-Elf, macht mich glücklich. Ich bewundere euer Volk und ich bewundere dich, Rhavîn. Ich ...“ Bevor sie den Satz beenden konnte, wurde sie von dem Meuchelmörder unterbrochen.
„Schweig, Auriel“, gebot er frostig. „Gib dich nicht den menschlichen Gebrechlichkeiten hin! Gefühle sind eine Schwäche, die allen Náiréagh anheim ist. Ich dachte, du hättest sie überwunden, doch scheint dem nicht so zu sein.“ Rhavîn schenkte seiner Gefährtin ein grimmiges Schnauben und zischte dann: „Bedauerlich.“
„Aber ... aber, Rhavîn“, entfuhr es Auriel. Verzweifelt versuchte sie, die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Sie wollte nicht noch mehr Menschlichkeit zeigen. „Rhavîn, ich dachte, wir wären Freunde.“
„Freunde“, spottete der Dunkelelf zynisch. „Ich bin Rhavîn Khervas, Vertrauter des Fürsten der Sícyr´Glýnħ des Nordens. Ich habe bloß einen Freund – Nymion.“ Der Dunkelelf blickte über die Schulter zu Auriel. Zögernd folgte sie seinem Beispiel, ihre Blicke trafen sich. Rhavîns Augen blitzten vor Hochmut, in ihnen glänzten Härte und Herzlosigkeit. Auriels Augen schwammen in Tränen, verkündeten den Schmerz, der in ihrer Seele brannte.
Rhavîn musterte für den Bruchteil eines Herzschlags Auriels Gesicht. Dann bemerkte er sarkastisch: „Niemals waren ein Sícyr´Glýnħ und ein Náiréagh Freunde. Und das wird sich auch an diesem Tag nicht ändern!“
„Aber, weshalb hast du mir vorhin deine Hände gereicht?“ Auriel verstand den unerwarteten Zorn des Dunkelelfen nicht. Hatte sie sich noch vor wenigen Augenblicken über sein Überleben gefreut, kam es ihr nun so vor, als würde sie von ihrem Gefährten auf offener Straße ausgepeitscht – mit Worten voller Verachtung.
„Ich hätte dich gleich umbringen sollen“, schnaubte Rhavîn, ohne auf die Frage der Hexerin einzugehen. Er wandte seinen Blick von Auriel ab. Sein silberner Haarschmuck klirrte leise.
„Rhavîn ...“ Auriel erntete keinerlei Reaktion. Schmerzerfüllt legte sie den Kopf in den Nacken.
Die Nacht wurde für Auriel unerträglich. Sie war Rhavîn nah wie kaum jemals zuvor und ihm gleichzeitig so fern wie niemals vor diesem Tag.
Tränen flossen über ihr Gesicht und tropften auf ihre Kleider, während ihre Gedanken lange und undurchdringliche Kreise zogen. Sie hörte Rhavîn leise atmen, sog seinen Duft ein, spürte seinen Körper nah bei ihrem.
Der Gedanke an ihn erregte sie und stieß sie zugleich zutiefst ab. Sie wünschte sich in seine Arme und desgleichen fort von diesem Ort, um allein zu sein und ihren Kummer zu vergessen.
Immer, wenn sie glaubte, ihr Unglück würde in tiefen Hass gegen den Dunkelelfen umschlagen, spürte sie sein Haar in ihrem Nacken, fühlte eine seiner sachten Bewegungen oder hörte, wie er im Schlaf leise seufzte. In diesen Momenten verflog ihre Verbitterung und wich einem zarten Band der Zuneigung.
Wie gern wäre ich mit Rhavîn zusammen an einem schöneren Ort. Fort aus dieser Gefangenschaft, fort aus dieser Höhle und frei. Gemeinsam mit ihm, ganz allein ...
„Hach!“ Auriel seufzte laut.
Sie konnte ihre Gedanken nicht ordnen, keinen Plan für eine mögliche Flucht ersinnen und sich vor allem nicht von Rhavîn ablenken. So fiel die junge Zauberin irgendwann in Schlaf, der von bewegten Traumbildern durchflutet wurde.
Sie träumte davon, wie sie einen verschlungenen Pfad beschritt, der sie durch Wälder führte und an die See, durch verschiedene Dörfer und andere Landschaften. Einige Orte aus ihren Träumen erkannte sie wieder, so zum Beispiel Skogrigg und den Waldsee, in dem sie sich gewaschen hatte.
Zwar wanderte sie in ihrem Traum allein, doch spürte sie die Anwesenheit anderer Wesen um sich herum. Bevor ihre Reise ein Ende nahm, tauchte Rhavîn in Auriels Träumen auf. Er hielt ihr beide Hände entgegen und lud sie ein, ihm zu folgen. Er lockte sie
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