Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
verstand den plötzlichen Sinneswandel nicht. Sie genoss Rhavîns Nähe. Jede seiner Berührungen schien glühende Spuren auf ihrer Haut zu hinterlassen, jeder Blick von ihm erfrischte ihre Seele.
„Ich ...“ Der Dunkelelf stockte, als er aus den Augenwinkeln erkannte, wie ein Ork an den Gitterstäben entlang patrouillierte. Mit einem Fingerzeig gebot er Auriel, zu schweigen. Gemeinsam mit ihr duckte er sich dichter zum Boden.
Der Ork zog seiner Wege, ohne auch nur einen Blick in das Gefängnis geworfen zu haben, und die beiden atmeten erleichtert auf.
„Wir müssen fliehen, entkommen.“ Rhavîn sprach Auriels Gedanken laut aus. „Ich habe meinem Fürsten geschworen, seinen Auftrag zu erfüllen und so werde ich es tun. Ungeachtet meiner Rachegelüste, die ich Revelya gegenüber hege, müssen wir zusehen, dass wir diese Höhle so schnell als möglich wieder verlassen können.“
Auriel nickte heftig und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. Dann ließ sie sich von Rhavîn aufhelfen. Sie umarmte ihn glücklich. Für den Bruchteil eines Lidschlags versteifte sich die Haltung des Meuchelmörders. Dann wurden seine Züge weicher, er erwiderte die Umarmung.
„Ich danke dir.“ Auriel lächelte.
„Komm jetzt. Wir müssen uns vorbereiten.“
Während die beiden ihre Kleider richteten, ihre Waffen anlegten und ihre Sachen zusammensuchten, erzählte Auriel, dass sie tatsächlich bereit gewesen wäre, alles dafür zu tun, bei Rhavîn bleiben zu können.
„Ich hätte dir einen Blutschwur geleistet, wenn du es verlangt hättest, Rhavîn.“ Auriels Blicke streiften die schwarzen Augen des Dunkelelfen. Ihr Herz tat einen Sprung. „Auch wenn es bedeutet hätte, mein Leben zu verlieren. Ich hätte keinen Augenblick mehr ohne dich verbringen können. Hättest du mir den Schwur nicht erlaubt, ich hätte mich selbst getötet.“
„Auriel. Alles, was ich zu dir sagte, meine Härte, meine Gefühlskälte ... all dies waren Bestandteile der Maske, die ich trug.“ Ein Schatten legte sich über Rhavîns Gesicht. Seine Augen spiegelten Traurigkeit. „Seit wir in dieser Höhle sind, galt meine einzige Sorge dir. Ich habe Revelya keine Angriffsfläche geboten, damit sie dich nicht verletzt.“ Rhavîns Blick traf Auriel. Als er sich abwandte, wirkte er wie ein verletztes Reh.
„Stattdessen tatest du selbst es.“ Auriels Stimme brach. Sie schluckte.
Rhavîn schreckte auf, erneut musterte er Auriels Gesicht.
„Ich wollte dich nicht kränken, Auriel. Meine harschen Worte waren Ausdruck meiner Verzweiflung. Ich stieß dich von mir, um dich zu schützen. Ich wollte, dass du mich hasst und mich verlässt. Ich wollte dich in Sicherheit wissen.“ Rhavîn seufzte. Seine Augen glänzten.
„Du willst also sagen, dass du nur so gemein zu mir warst, damit ich weggehe?“, fragte Auriel. Sie steckte ihren Dolch in die Scheide. „Du hast dich feindlich und bösartig gezeigt, damit ich dich verabscheuen sollte? All das, um mich nicht in Gefahr zu bringen?“ Ihre Wangen leuchteten rötlich, ihre Augen sprühten vor Lebenslust. Auriel war glücklich, trotz der Gefangenschaft.
„Das, und um mir meine Gefühle für dich vor mir selbst nicht eingestehen zu müssen“, erwiderte Rhavîn. Der Dunkelelf hatte sich mittlerweile vollständig gerüstet. Nun wandte er sich von Auriel ab und rollte zwei größere Steine in die Nähe des Holzpfahls, die in dem Zwielicht der Höhle den Anschein erwecken sollten, dass noch immer jemand an ihn gefesselt sei. „Ich bin ein Sícyr´Glýnħ. Ich sollte leben wie ein Sícyr´Glýnħ, gefühlskalt, ohne Liebe. So wurde es mir beigebracht, so kenne ich es seit jeher.“ Erinnerungen kehrten zurück, Rhavîn presste die Kiefer aufeinander.
„Aber ...“ Auriel stockte, als sie sah, dass sich Rhavîns Miene verfinsterte.
„In meiner Kindheit habe ich einen schrecklichen Fehler begangen. Als ich sah, wie eine Menschenfrau ihren Kindern Liebe und Trost spendete, wünschte ich mir das gleiche von meinem Vater für mich. Ich gestand ihm meine Liebe zu ihm.“ Die Augen des Meuchelmörders funkelten. Die gewohnte Kälte kehrte zurück. „Mein Leben änderte sich durch diesen Fehltritt schlagartig, wandelte sich in jeder Hinsicht. Mein eigener Vater verstieß mich, wollte, dass ich der Sklave eines niederen Dämons in Crâdègh nyr Vilothyl, der Zitadelle meines Fürsten, würde. Er verachtete mich, hasste mich. Aber ich konnte ihn nicht hassen, so sehr vergötterte ich ihn. Erst nachdem
Weitere Kostenlose Bücher