Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
gebot Rhavîn energisch. Er hielt Auriel seine ausgestreckte Hand entgegen. „Gib mir den Dolch!“
„Nein!“ Die Hexerin blickte sich um, als lauerten in jedem Winkel der Höhle feindliche Wesen. Gleichzeitig hielt sie den Dolch angriffsbereit vor sich hin und ging rückwärts. „Einzig der Blutschwur wird mir meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen. Gewährst du mir nicht einmal, diesen Weg einzuschlagen, werde ich mich umbringen. Auf der Stelle, hier und jetzt!“
Chroniken des Jarls der Nordmarken: Blind
„Wir schreiben den elften Tag in diesem Mond und noch immer leidet mein Herr unter seiner schlechten körperlichen Verfassung. Ich bin Skorvjen Wravson und weiterhin beauftragt, die Geschehnisse in den Chroniken unseres Jarls, Grímmaldur dem Schwarzen, niederzuschreiben.
Während unser Herr am neunten Tag unter den schrecklichsten Qualen litt, an Halluzinationen, Krämpfen und Schlafstörungen, so ging es ihm am gestrigen Tag zeitweilig besser.
Mein Herr sprach sogar mit mir, war klaren Verstandes und beschrieb mir, was er in seinen Halluzinationen sehen konnte. Er wisse nun, hat er mir berichtet, dass der Tod, der auf ihn lauert, immer näher rückt und zwar in der Gestalt eines zweibeinigen Wesens. Ich weiß nicht, was oder wen er damit meint, doch ist er so sicher ob des unabwendbaren Schicksals, dass ich mir in meinem Kopf die schlimmsten Kreaturen ausmale. Mag es ein Dämon sein? Ein geflügelter Unhold oder gar ein finsterer Gott? Vielleicht ein Faun oder eine der anderen schrecklichen Kreaturen, die in den Wäldern der Nordmarken hausen. Ich weiß es nicht und die Beschreibungen meines Herrn sind zu vage, um realistische Überlegungen anstellen zu können. Er beschreibt lediglich Schwärze und Finsternis, die das Wesen an seiner Seite zu tragen scheint, wie die Sterne den Mond. Die Ältesten lassen sich nicht davon abhalten, ihre magischen Rituale zu vollziehen. Wieder und wieder erkennen sie die drohende Gefahr in ihren Orakeln, sehen, wie sie näher kommt, und prophezeiten einen Stillstand für den gestrigen Tag, der auch eingetroffen ist.
Und da sich das drohende Unheil gestern nicht näherte, ging die Krankheit meines Herrn zurück und der Schleier über seinen Gedanken lichtete sich ein wenig, sodass er ein wenig Hoffnung schöpfen konnte.
Er und die Ältesten sind der Ansicht, dass es in den Nordmarken unsichtbare Verbündete gibt, die den lauernden Tod aufhalten wollen, damit er unserem Jarl nichts zuleide tut. Ich bete Stunde um Stunde, dass sie es schaffen mögen und meinem Herrn somit das Leben retten. Gleich, ob sie bewusst tun, was sie tun oder ob sie es nur aus Eigennutz heraus tun wollen, um diesem unbekannten Wesen zu schaden – sie helfen auf diese Weise dem Jarl der Nordmarken. Die Götter mögen ihnen die Kraft geben, siegreich zu sein, auf dass der unsichtbar herannahende Tod selbst sein Ende finden möge.
Die Ältesten berichten schon länger von einer jungen Frau, die unseren Herrn retten kann, wenn sie Dragelund rechtzeitig erreichen wird.
Die Vorsehungen haben diese Deutung der Zeichen bestätigt und zeugen ebenfalls von einem Mädchen, das in der Lage sein wird, das Schicksal unseres Herrn in andere Bahnen zu lenken.
Gestern bereits wurde angeordnet, alle jungen Frauen im Umkreis von dreißig Meilen um Dragelund herum zu überprüfen, ob sie eine ähnliche Vorahnung haben, wie unser Herr.
Denn die Prophezeiungen der Ältesten berichten von einem Mädchen, das in Träumen und Visionen ihr Schicksal bereits gesehen hat oder es demnächst sehen wird.
So sind denn alle Frauen im Alter zwischen zwölf und fünfunddreißig Jahren aufgerufen worden, sich umgehend in Dragelund einzufinden, sobald sie etwas an sich bemerken, das nicht gewöhnlich ist. Hier sollen sie in speziell vorbereiteten und mit magischen Siegeln geschützten Häusern warten, bis sich der Tod genähert hat und die Prophezeiung des Unheils kurz vor ihrer Vollendung steht. Dann soll die Richtige hervortreten und ihr Schicksal erfüllen – Grímmaldur dem Schwarzen das Leben zu retten.
Leider vermögen die Weisen zurzeit nur die ungefähre Entfernung des finsteren Todes auszumachen, nicht aber die des Mädchens, sodass wir nicht wissen, wo genau wir nach ihr suchen sollen. Und ihre Prophezeiungen sind zudem sehr vage und nicht einmal auf mehrere Meilen präzise. Dennoch geben sie uns die Möglichkeit, einzuschätzen, wie viel Zeit uns noch bleibt.
So können wir Vorkehrungen treffen und alles
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