Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rheines Gold

Titel: Rheines Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
Essen versorgt hatte. Wahrscheinlich war er am Morgen der Erste, der in die Hütte kam. Und er hielt sie für harmlos. Es war einen Versuch wert. Sie würde alles daransetzen, ihn zu überrumpeln.
    »Ich würde mich so gerne baden«, murrte Sabina und rümpfte über die fleckigen Decken die Nase.
    »Ich auch, aber hier wäre es jetzt keine gute Idee. Die Männer verhalten sich zwar einigermaßen höflich, aber wir sollten sie nicht auf dumme Gedanken bringen.«
    »Oh nein, nein. Da hast du völlig Recht. Es darf uns keinesfalls so ergehen wie Marcillia.«
    »Marcillia?«
    »Ja, hast du die Geschichte nicht gehört? Seit heute Morgen muss ich ständig an sie denken!«
    »Nein, ich habe die Geschichte nicht gehört. Lohnt es sich, sie zu kennen?«
    »Nun ja, sie wurde auch entführt.«
    »Dann erzähle sie mir, vielleicht lernen wir etwas daraus.«
    »Oh nein, nein. Sie endete so furchtbar.«
    »Wir werden nicht furchtbar enden. Aber wir haben eine lange Nacht vor uns, und Geschichten können die Zeit vertreiben. Erzähl sie mir, Sabina.«
    Eine gute Erzählerin war die Gattin des Statthalters nicht. Ihre Gedanken flogen wie junge Vögelchen hin und her, auf jedem Ästchen ließen sie sich nieder, jede Blüte umflatterten sie, doch nach und nach gelang es Rufina mit sachtem Nachfragen, aus den wirren, bunten Fäden ein Muster zu weben.
    Die schreckliche Affäre hatte sich vor ungefähr sechs Jahren abgespielt. Marcillia war ein junges Mädchen, das mit dem Flamen Dialis, dem höchsten Jupiterpriester in Niedergermanien, verheiratet werden sollte. Sie hatte die lange Reise von Rom in Begleitung eines Trosses von Dienerinnen und Leibwächtern unternommen, doch es gelang einem Widersacher des Flamen, sie kurz vor der Colonia zu entführen. Sabina wusste allerdings nicht, worin die Feindschaft zwischen den beiden Männern bestand. Jedenfalls war die junge Braut offensichtlich von dem Entführer gezwungen worden, ihm zu Willen zu sein. Vielleicht hatte er sie sogar zur Ehe gezwungen, auch das wusste Sabina nicht genau. Jedenfalls muss sich das Mädchen völlig entehrt gefühlt haben, denn sie hatte sich einige Monate später erhängt. Besonders grauenvoll war dieses Schicksal deshalb, weil sie just in dem Augenblick in den Tod gegangen war, als ihre Rettung erfolgte.
    »Es heißt, der eine der Leibwächter, ein vernarbter alter Gladiator, und ein afrikanischer Sklave, der ihr als Kutscher gedient hatte, hätten sie auf eigene Faust befreien wollen. Sie taten es unter Einsatz ihres Lebens. Angeblich brachten sie den Entführer in einem erbarmungslosen Kampf um.«
    »Das arme Mädchen! Aber der Flame hätte sie nach dieser Schande nicht mehr heiraten können.«
    »Ja, aber sie hätte gelebt. Ich hoffe, uns droht nicht ein derartiges Los.«
    »Du bist bereits verheiratet, und ich bin verwitwet. Glaubst du, dein Gatte würde dich verstoßen, wenn dir so etwas geschieht?«
    Sabina schüttelte vehement den Kopf.
    »Maenius Claudus liebt mich. Ich bin sicher, er würde den Mann töten, der mir so etwas antut.«
    Maenius Claudus galt als ein hochintelligenter, pragmatischer Mann von großer Zielstrebigkeit, was seine Karriere anbelangte. Wie weit er zu inniger Liebe zu einem derart hohlköpfigen, wenn auch gutmütigen Geschöpf wie Sabina Gallina fähig war, verschloss sich Rufina in gewisser Weise.
    Sie plauderten noch eine Zeit lang, dann verstummte Sabina allmählich und schlief ein. Auch Rufina döste vor sich hin, bis sie plötzlich ein vollkommen verrückter Gedanke durchfuhr.
    Vor sechs Jahren war Maurus auf eine lange Reise nach Germanien gegangen. Als er zurückgekehrt war, hatte er Wunden an Körper und Seele getragen. Ein Überfall, hatte er gesagt. Ein narbiger alter Gladiator und ein dunkelhäutiger Sklave hatten das Mädchen begleitet und später gerettet. War das Zufall? Einen narbigen, alten Gladiator kannte sie nur zu gut. Burrus, der immer wieder um Arbeit bei ihr nachfragte. Auf ihn passte genau diese Beschreibung. Kannte er Maurus schon von damals her? Was trieb Maurus auf seinen langen Reisen? Hatte er sich etwa als Kutscher ausgegeben? Aber warum? Hatte diese Marcillia ihm derart viel bedeutet? War er im Kampf um ihre Befreiung verwundet worden? Hatte er ihren Verlust nicht ertragen und war deshalb in die dunkle Nacht der Seele entflohen? War sie die Frau, die sie hinter seinem Leid vermutet hatte?
    Ruhelos wälzte sich Rufina auf dem Stroh. Ein gefährlicher Mann, der den Leuten gegenüber, wenn es ihm

Weitere Kostenlose Bücher