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Rheines Gold

Titel: Rheines Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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misshandeln, keine Angst. Du bist bares Geld wert.«
    Sabina klagte noch ein wenig, schaffte es dann aber doch, ohne hinzusehen, nur nach Gefühl, die Fesseln aufzubinden.
    »Das war fantastisch, Sabina.«
    »Ich bin geschickt in Handarbeiten, weißt du. Wirst du meine Hände auch befreien?«
    »Besser nicht. Es wäre gut, wenn es so aussehen würde, als hätte ich es alleine geschafft und wäre, während du schliefst, ausgebrochen.«
    »Was hast du vor?«
    »Davon hast du am besten auch keine Ahnung. Aber verlass dich drauf, ich weiß, wo ich Hilfe finde.«
    Als es völlig dunkel geworden war, gelang es Rufina, sich durch das Fenster des Raumes zu zwängen und unbemerkt wie ein lautloser Schatten durch die kleine Siedlung Richtung Wald zu schleichen.
    Doch damit hörte ihr Glück auch auf.
    Noch nie hatte sie sich so alleine und verängstigt gefühlt. Der Wald bei Nacht war unheimlich. Unheimlicher als jeder Albtraum, den sie je erlebt hatte. Zwar schimmerte gelegentlich der volle Mond durch das Laubdach, aber es war kaum hell genug, auch nur einige Schritte weit zu sehen. Rufina stolperte über Wurzeln, trat in Mulden, verfing sich in Ranken und Geäst. Ihre leichten Sandalen waren nicht eben das richtige Schuhwerk, aber wenigstens schützte sie die haarige Decke, die sie über ihre dünnen Kleider gewickelt hatte. Dennoch waren ihre Arme, Beine und auch ihr Gesicht bald von scharfen Brombeerdornen und den Blättern der Stechpalmen zerkratzt und brannten von den Peitschenschlägen der Brennnesseln. Langsam tastete sie sich voran und warf immer wieder furchtsame Blicke zurück. Es schien jedoch niemand ihre Flucht bemerkt zu haben. Trotzdem ließ sie jedes Geräusch, jedes Knacken und Knistern angstvoll zusammenzucken. Natürlich hatte sie nicht nur vor den menschlichen Verfolgern Angst, auch die Vorstellung, gefährlichen wilden
    Tieren zu begegnen, ließ sie immer wieder schaudern. Doch außer den jagenden Käuzchen mit ihrem unheimlichen Ruf und dem gelegentlichen Todesschrei ihrer Beute begegnete sie keinem der nächtlich aktiven Tiere. Noch erkannte sie den Pfad, den sie gekommen waren, noch war er breit und ausgetreten. Aber sie wusste, er würde bald schmaler und unkenntlicher werden. Außerdem - am frühen Morgen, wenn ihr Verschwinden entdeckt worden war, würden sich ihre Entführer sicher zuallererst auf diesen Weg machen, um sie wieder einzufangen. Also musste sie ihn irgendwann verlassen. Sie hatte auf dem Hinweg aufmerksam darauf geachtet, welche Möglichkeiten es gab, und sie erinnerte sich auch an eine Stelle, wo sie einen kleinen Wasserlauf überquert hatten. Dem wollte sie ein Stück folgen, in der Hoffnung, dadurch ihre Spuren zu verwischen. Doch es dauerte fast bis zur Morgendämmerung, bis sie das Bächlein erreichte. Ein kleines Rudel Rehe starrte sie dort mit dunklen, glänzenden Augen an und schreckte auf, als sie näher kam. Verblüfft sah sie ihnen nach, wie sie mit lautlosen, graziösen Sprüngen in dem dunstigen Wald verschwanden. Dann aber beugte sie sich nieder und trank dankbar von dem kalten Wasser. Es schmeckte köstlich genug, um ihr das Morgenmahl zu ersetzen. Dennoch hoffte sie, bald auf eine menschliche Ansiedlung zu stoßen. Sie zog die Sandalen aus und watete im Bachbett so lange, wie sie es aushielt. Das eisige Wasser machte ihre Füße allmählich gefühllos, und mehrmals stolperte sie und wäre fast gefallen. Als es schließlich hell geworden war, erstieg sie das Ufer und setzte sich erschöpft nieder. Die Haut an ihren Füßen war ganz weiß geworden, und sie wackelte kräftig mit den Zehen, um etwas Wärme hineinzubringen.
    Es war zwar Tag geworden, aber die Sonne schien nicht. Dicke Wolken hatten sich am Himmel versammelt, und ein leichter Nieselregen legte seine durchdringende Feuchtigkeit über das Land. Rufina fröstelte, zog ihre Sandalen wieder an und wanderte weiter am Ufer des Baches entlang. Irgendwann aber fühlten sich ihre Glieder so bleiern an, dass sie sich unter einem Busch zusammenrollte, um zu schlafen. Sie fühlte sich so elend, sie hatte noch nicht einmal mehr Angst vor einer Entdeckung durch Mensch oder Tier.
    Später am Tag erwachte sie, ein wenig ausgeruhter, aber hungrig und zweifelnd. Wäre es nicht einfacher gewesen, in Sabinas Gesellschaft auf die Befreiung zu warten? Warum hatte sie sich nur mit diesem idiotischen Heldenmut in den unwegsamen und unheimlichen Wald gewagt? Der Regen hatte zwar aufgehört, aber es tropfte noch von den Blättern, und

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