Rheines Gold
jemanden mit einem gezielten Schlag auf die Schläfen bewusstlos zu machen, als auch den richtigen Griff am Hals einzusetzen. Beides hatte Eghild ihr beigebracht. Das wiederum ließ vielleicht doch wieder auf Oda schließen. Sie war zumindest am Morgen ebenfalls im Caldarium gewesen. Aber wie hatte sie sie dann aus dem Salbraum in die Körbe geschafft? Es muss Helfer gegeben haben. Vielleicht hatten sie Spuren hinterlassen.
Rufina überlegte, welche Schlüsse Fulcinia wohl ziehen würde. Wie würde sie sich vor allem dem Vertreter aus dem Haus des Statthalters gegenüber verhalten, so schüchtern wie sie war?
An dieser Stelle angekommen, wurden die Schmerzen in ihrem Kopf so heftig, dass sie aufstand und zu dem Fensterchen ging, um frische Luft zu schnappen. Als es ihr wieder besser ging, lehnte sie sich vor, um hinauszuschauen. Man sah einen winzigen Himmelsausschnitt zwischen den hohen Bäumen und den Schein eines Holzfeuers, um den die vier Männer saßen.
Das Feuer bannte ihren Blick.
Das zumindest wusste sie - Fulcinia würde den Schutz ihrer Herrin für sie erbitten, und sie würde es mit den wahren und richtigen Worten tun. Auf Fulcinia war unbedingt Verlass. Nicht nur deswegen. Denn sie war drei Jahrzehnte lang eine der sechs mächtigsten Frauen des römischen Reiches gewesen. Sie wusste, was zu tun war. Und wenn nötig, hatte sie Einfluss!
Mit dem Wissen darum, dass sie für ihre Sicherheit betete, kehrte Ruhe in Rufinas Gemüt ein. Es würde einen Weg geben. Und sie würde ihn finden.
Langsam ging sie zu dem Strohsack zurück und wickelte sich in die Decke. Sehr sauber war sie nicht, sie roch nach Rauch und Schweiß und feuchtem Tier. Aber sie hielt warm.
Während sie die Augen schloss, um auf den Schlaf zu warten, erinnerte sie sich, wie sie herausgefunden hatte, wer Fulcinia maior wirklich war.
Es war auf der langen Fahrt zur Colonia. Sie hatten einen Wagen dabei, in dem ihre Habe verstaut war. Seltsamerweise hatte Fulcinia sich erboten, ihn zu fahren.
»Du bist eine Frau von ungewöhnlichen Gaben«, hatte Rufina festgestellt. »Es gibt nicht viele Frauen, die ein Gespann lenken können.«
Aber sie hatte sich noch nichts dabei gedacht. Fulcinia hatte ihr nur ein scheues Lächeln geschenkt und die Zügel in die Hand genommen. Rufina selbst hatte sich dafür entschieden, zu reiten, und Maurus besorgte ihr ein kleines, stämmiges Pferd. Auch Maura bekam ein Pferdchen, obwohl sie erst gut fünf Jahre alt war. Crispus hingegen musste grollend bei Fulcinia sitzen, doch dann und wann hatte Maurus ihn vor sich auf seinen Hengst gesetzt. Maura hingegen schien es gelegentlich zu gefallen, bei Fulcinia zu sitzen, und einmal hörte Rufina das Gespräch, das die beiden miteinander führten, mit an, als sie langsam neben dem Wagen auf der Reitspur der Straße ritt.
»Aber muss ich wirklich Buchstaben lernen? Und Zahlen? Und all diese alten, vertrockneten Geschichten?«
»Ja, Maura, das solltest du.«
»Aber ich kann das nicht. Und Mama ist immer so ungeduldig, wenn ich die Krakel nicht lesen kann.«
»Deine Mama hat viel zu tun. Wenn du möchtest, erkläre ich sie dir noch einmal. Ich bin bekannt für meine Geduld, Maura.«
»Ja, das bist du, Tante Dignitas. Sehr geduldig und sehr würdig.«
Fulcinia hatte ihr leises, sanftes Lachen erklingen lassen und angefangen, Maura eine Fabel zu erzählen.
»Du kennst so viele Geschichten. Hast du sie alle auswendig lernen müssen?«
»Ja, ich habe viele Geschichten gelernt. Und viele Lieder, Hymnen und Gedichte.«
»Hast du lange dafür gebraucht?«
»Nun ja, ich habe angefangen damit, als ich ungefähr so alt war wie du. Mit sechs Jahren.«
»Wer hat dir das beigebracht? Auch deine Mama?«
»Nein, ich hatte Lehrerinnen. Sehr gute Lehrerinnen.«
»Wie lange hast du gebraucht, um das alles zu lernen?«
»Zehn Jahre hat man mich unterrichtet.«
»Oooch, das ist aber lange.«
»Ich fand es nicht. Ich bin nämlich sehr neugierig, musst du wissen. Mir hat das Lernen Spaß gemacht. Ich war richtig traurig, als die Zeit vorbei war und ich meinen Dienst antreten musste.«
»Dienst? Was für einen Dienst? Du bist doch keine Magd oder so.«
»Den Dienst im Tempel, Maura.«
»Uh, und was hast du im Tempel gemacht? Schafe getötet?«
Maura hatte kurz vor der Abreise an einem Opferritual teilgenommen, und das hatte sie tief erschüttert.
»Nein, Maura. Wir haben die Carmen gesungen, das Opferschrot zubereitet, die mola salsa, die Opferkuchen, gebacken und
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