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Rheingau-Roulette

Rheingau-Roulette

Titel: Rheingau-Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sia Wolf
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erreichen. Zwecklos.
    Sie hatte Angst. Angst vor Entdeckung. Sie wusste nicht, wie Milan das Motorrad von Hannes manipuliert hatte. Aber sie wusste, dass er etwas gemacht hatte und dass er ihr gesagt hatte, ihr Problem wäre damit für immer gelöst.
    Die Klingel ertönte zum dritten Mal.
    Leise bewegte sie sich durch ihre Küche bis zur Haustür und versuchte zu erspähen, wer vor der Tür stand. Das Licht über der Tür war hell, aber das kleine Fenster, das ihr den Ausblick auf Besucher vor der Tür erlaubte, war von außen verdeckt. Kein gutes Zeichen. Sie stand still vor der Tür und lauschte, als es klopfte.
    „Judith? Hier ist Hannes. Kannst du mal bitte aufmachen? Ich weiß, dass du da bist.“
    Hannes.
    Ihr Schrecken war allumfassend. Seit Jahren hatte sie sich nichts anderes ersehnt. Er vor ihrer Tür. Allein mit ihm sein. Mit ihm sprechen können. Sie schluckte. Vorsichtig drehte sie den Türschlüssel um und öffnete die Tür einen Spalt.
    Er stand vor ihr, lächelnd. So wie sie ihn sich wünschte. Er trug Jeans, Turnschuhe und ein schwarzes T-Shirt, eine Kombination, die sie am liebsten an ihm mochte. Er hatte sich daran erinnert!
    Sie zog die Tür weiter auf.
    „Darf ich hereinkommen?“
    Er hatte einen Rucksack dabei. Scheinbar war er zu Fuß, weder sein Fahrrad noch sein Auto waren zu sehen. Und er war tatsächlich allein. Er machte mit einem fragenden Gesichtsausdruck einen Schritt in den Flur und Judith begann hektisch zu überlegen.
    Warum war ihr nicht vorher eingefallen noch mal in den Spiegel zu schauen? Wie sah sie überhaupt aus? Sie hatte mittags ihre letzte Dusche gehabt und ihre Kleider gewechselt. Den ganzen Nachmittag hatte sie arbeiten müssen und für das abendliche Reinigungsritual war es noch zu früh.
    Zögernd strich sie sich durch das Haar.
    „Ja bitte komm herein.“
    Ihre Stimme hörte sich so an wie immer, leise und kultiviert.
    Hannes trat auf sie zu, blieb vor ihr stehen und lächelte sie an. „Ich dachte, wir hätten vielleicht ein paar Dinge zu besprechen!“
    Sie war schnell, aber nicht schnell genug. Sie hatte schon ein komisches Gefühl im Bauch gehabt, als sie ihn vor der Tür sah. Aber sie hatte sich von ihren Wünschen täuschen lassen. Nach so langer Zeit suchte er den Kontakt zu ihr? Es konnte ja nicht stimmen.
    Und jetzt hatte sie die Bestätigung. Sie hatte es an seiner Stimme gehört, seine Stimme, die trotz seines Lächelns den kalten Unterton hatte, den er sich ihr gegenüber in den Monaten nach der Trennung zugelegt hatte.
    Sie zuckte zurück, aber es war zu spät. Sie spürte das kühle Metall an ihrer Haut und hörte das leise Klicken der Verschlüsse. Er hatte ihr Handschellen angelegt, die metallenen Halbmonde rasch und hart um ihre zierlichen Gelenke gedrückt. Sie wusste noch, dass er Kraft hatte, eine Kraft, die man hinter seinem schmalen Körperbau nicht vermutete. Aber der Umgang mit den schweren Materialien seiner Bildhauerei und den entsprechenden Werkzeugen hatten seine Arme gestählt. Sie spürte, dass die Vehemenz ihrer Angst nicht ausreichte, um sich gegen ihn zur Wehr zu setzen.
    Er lächelte noch immer. Kalt und berechnend. Die blauen Augen gnadenlos auf sie gerichtet.
    Sie brauchte ihn nicht um Vergebung bitten. Nicht um Frank. Das war hoffnungslos. Was auch immer er geplant hatte, er würde es durchführen. Erbarmungslos, soweit kannte sie ihn noch.
    Sie spürte, wie er das Klebeband auf ihren Mund klebte. Ihre Knöchel band er mit Kabelbinder zusammen, so dass sie noch laufen konnte, aber ihre Schritte klein und trippelnd blieben, wie die einer japanischen Geisha.
    Er verließ sie kurz und kam mit einem Tuch aus ihrem Schrank wieder, mit dem er ihre Haare zusammenband.
    Dann zog er aus dem Rucksack einen weißen Maleranzug und zwei hellblaue Mülltüten heraus.
    In aller Ruhe legte er den Anzug an und band je eine Mülltüte über seinen rechten und linken Schuh. Die Ränder der Müllsäcke befestigte er mit dem gleichen Klebeband, das ihren Mund bedeckte, an den Beinen des Maleranzugs. Seine Hände schob er in Gummihandschuhe und seine Haare bedeckte er mit einer OP-Haube.
    So ausgestattet, öffnete er bedächtig das Hauptfach seines Rucksacks. Das helle Licht der Flurleuchte spiegelte sich im stählernen Keil der Axt.
     
    7. Kapitel: Oktober
    Sie erbrach sich. Die Übelkeit kam jeden Morgen, sobald sie sich die Zahnbürste in den Mund steckte. Mitunter reichte schon der Gedanke an die Zahnbürste, um das Erbrechen auszulösen. Leider

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