Rheingau-Roulette
Hitze auf dem Friedhof. Er trug ein kurzärmeliges weißes Hemd mit einem schwarzen Schlips und schwarze Hosen. Er hatte sich nach ein paar Worten mit Stella ihrem Schwiegervater zugewandt, der mürrisch vor seinem Kaffee saß.
Alexandra überlegte. „Sie hat vorhin hier gesessen, aber sie ist gegangen, als Franks Angestellte sich verabschiedet haben. Wer ist sie denn?“
Andrea sah sie zögernd an.„Sag’s nicht weiter. Sie war Franks Geliebte.“ Andrea sah ebenfalls zu Stella und sie sagte es nebenbei, so als ob es nicht wichtig wäre.
„Seine Geliebte? Frank hatte eine Geliebte? Das glaube ich nicht.“ Alexandra war ehrlich entsetzt.
„Beruhige dich. Ex-Geliebte. Jedenfalls soweit ich weiß. Magnus ist das Versöhnungskind.“ Andrea sah noch immer zu Stella. Hinter ihr stand eine Frau, die zur Familie zu gehören schien. „Ich glaube, ich muss mal eben zu Stella und sie etwas unterstützen. Die Frau da ist ihre Schwägerin und eine ziemlich unangenehme Zicke.“ Andrea bewegte sich schnellen Schrittes wieder zu Stella und ließ Alexandra mit ihren verwirrten Gedanken über Franks Treue allein.
Draußen auf dem Spielplatz tobten die Kinder, auch Tobias und Charlene waren dabei und spielten mit den anderen. Wie gut, dachte Alexandra, die versonnen aus dem Fenster blickte, dass sie sich entschieden hatten, die Kinder mitzunehmen. Der Anlass war traurig, bitter für die Familie und der schmerzhafte Verlust würde sie ein Leben lang begleiten. Aber für kurze Zeiten einen unbeschwerten Moment erleben, das konnten die Kinder auch während der Beerdigung. Die schweren Nächte, in denen sie von ihrem Vater träumen würden, standen ihnen noch lang genug ins Haus.
Ihre Gedanken verweilten bei der jungen weinenden Frau und die Information, die sie eben von Andrea erhalten hatte. Frank hatte eine Geliebte. Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit Caro, indem sie erwähnte, dass Frank was Hannes betraf, eine treue Seele war. Schon damals war ihr dieser Satz komisch vorgekommen. Sie wandte sich wieder den verbliebenen Erwachsenen zu, die in kleinen Gruppen um die Tische saßen und über Frank sprachen.
Wie immer bei Trauerfeiern erlebte man nicht nur Verlust und Trauer, sondern man erinnerte sich an den Toten und an die schönsten Erlebnisse mit ihm. Dann und wann hörte man sogar zurückhaltendes Gelächter, wenn man über Frank, seine Eigenheiten und die besonderen Erlebnisse mit ihm sprach. Alexandra entschloss sich, die Trauerfeier zu verlassen. Sie kannte Frank nicht lange genug, um sich mit den anderen aus dem Freundeskreis über die vergangenen Zeiten und Erlebnisse mit ihm auszutauschen. Sie fühlte sich müde und ausgebrannt. Ihr steckten noch die Erlebnisse mit Judith in den Knochen. Und wenn sie ehrlich war, so war der Ausblick auf die stille Eintracht, mit der Stella und Hannes nebeneinander saßen, wie ein steter bitterer Tropfen, der, nervend wie ein undichter Wasserhahn, ihre seelische Verfassung aus dem Gleichgewicht brachte. Sie verabschiedete sich schnell von Stella, ohne Hannes weiter zu beachten und verließ die Trauerfeier.
Sie sparte sich den Weg über den Friedhof, als sie die junge blonde Frau an Franks Grab stehen sah. Wenn sie tatsächlich eine Geliebte von Frank war, dann war sein Tod vermutlich ein schlimmer Verlust für sie und noch schmerzlicher würde es sein, dass sie nicht offiziell um ihn trauern durfte. Alexandra wandte sich ab und schlenderte nach Hause.
Judith -6-
Es war Sonntag. Sie saß in der Küche und trank einen Tee, als es klingelte. Yogitee. Das Klingeln verstörte sie. Niemand klingelte bei ihr. Sie hatte außer Milan, und denen, die er manchmal mitbrachte, keinen Besuch.
Die Klingel erklang erneut.
Es beschlich sie ein laues Gefühl von Unbehagen, das sich in ihrem Bauch bemerkbar machte. Selbst die Polizei hatte erst angerufen, bevor sie ihre Aussage machen musste. Erst die beiden Polizisten, die den Überfall auf Alexandra klären wollten, und dann die, die wegen des Motorradunfalls hier waren. Und sie konnte jedes Mal aufs Revier fahren, um ihre Aussage zu machen.
Sie trank bedächtig von ihrem Tee. Der Motorradunfall mit dem Todesopfer.
Mit dem falschen Opfer.
Aber das hatte sie nicht ändern können. Und wenn sie es genau nahm, dann hatte auch er es verdient. Er war genauso ein Fremdgänger wie Hannes.
Sie war zornig über die Panne gewesen, und hatte Milan angerufen, doch der hatte den Anruf abgewiesen. Stundenlang hatte sie versucht, ihn zu
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