Rheingau-Roulette
von der nassen Schnauze des kleinen Dackels geweckt, der die Familie terrorisierte.
„Lumpi, du blöder Schlabberheini, hau ab.“ Krächzend versuchte sie, die Zärtlichkeiten des Familienhundes abzuwehren. Ein leichter Kaffeeduft zog an Alexandras Nase vorüber.
„Der Kaffee ist fertig.“ Caros Stimme klang durch den Raum.
„Scheiße, wie spät ist es?“ Alexandra fuhr auf und suchte eine Uhr.
„Beruhige dich. Ich habe mit Oliver telefoniert. Er hat alle deine Patienten für heute abgesagt oder übernimmt sie selber.“ Caro reichte ihr einen Becher mit Kaffee.
Alexandra ließ den Kopf zurück auf das Kissen sinken und schloss ihre von den Tränen der Nacht geschwollenen Augen.
„Danke dir. Du bist die geborene Krankenpflegerin.“
„Nur für meine Lieblinge.“ Caro streichelte ihr zart über den Arm. „Wie hast du geschlafen? Konntest du überhaupt schlafen?“
„Wie man so schläft, wenn man vor wenigen Stunden seines kompletten Lebensentwurfs beraubt wurde.“ Alexandra liefen schon wieder die Tränen. „Hast du mal ein Taschentuch?“ Ihre Stimme röhrte wie ein altes Auto mit kaputtem Auspuff.
Caro lächelte weich und fummelte aus ihrer Hosentasche ein Taschentuch hervor. „Ich bin Mutter. Natürlich habe ich ein Taschentuch. Hier, bitte. Kannst du mir mal genau erzählen, was los war? Olli wollte nicht mit der Sprache raus. Er hat rumgedruckst und sagte nur, es wäre super wichtig, dass ich mich um dich kümmere, weil ihr euch getrennt habt.“
„Dieses Schwein. Diese brutale Sau. Noch nicht mal jetzt kann er die Wahrheit sagen.“
„Aber du hast mir doch gestern auch erzählt, dass mit Olli alles aus ist. Was ist also geschehen?“
„Nichts Besonderes, wie du ja von ihm gehört hast. Nur das er unsere Angestellte gebumst hat. Drei Wochen nach meiner Fehlgeburt. Dumm, dass es dann gleich geschnackelt hat!“
„Ach du Scheiße.“ Caro schaute sie entgeistert an. „Bist du sicher? Also ich meine, hat Olli zugegeben, dass er ein Verhältnis hat?“
„Yep. Und er hat auch gesagt, warum. Er konnte meine Trauer nicht mehr ertragen. Ich wäre so extrem empfindlich gewesen, bei jeder Gelegenheit in Tränen ausgebrochen und überhaupt nicht mehr die coole, angesagte Frau gewesen, in die er sich mal verliebt hatte.“ Alexandra brachte die Worte nur noch schluchzend hervor. „Dieses Schwein. Ich hatte doch gerade eine Fehlgeburt! Hätte ich da locker flockig drüber hinweggehen sollen? So nach dem Motto: Macht nichts Schatz, nächster Zyklus neues Glück? Und das, nachdem wir zwei Jahre vergeblich versucht hatten, zusammen ein Kind zu bekommen?“
Caro nahm sie in die Arme. „Schhhhhhh, ganz ruhig, schhhhhhhh.“ Wie bei ihren Töchtern saß Caro am Bett und hielt Alexandra fest umarmt. Flüsterte leise Trostworte und wiegte sie sacht hin und her. Alexandra weinte, Sturzbäche von Tränen rannen aus ihren Augen. Innerhalb kürzester Zeit war das Taschentuch in ihren Händen ein feuchtes, zerknülltes Knäuel aus Zellstoff. Caro ließ sie sanft los. „Ich gehe mal Nachschub holen.“ Sie nahm die Kaffeetasse und kehrte nach wenigen Minuten mit einer großen Packung Taschentüchern und frischem Kaffee zurück. Beides stellte sie auf den Nachttisch. Alexandra war erschöpft wieder eingeschlafen. Leise strich ihr Caro über das Haar und schloss die Tür hinter sich.
Drei Tage lag Alexandra im Bett. Sie stand nur auf, um zur Toilette zu gehen. Sie wusch sich nicht, sie aß nichts und redete so gut wie nichts. Caro schaute regelmäßig nach ihr, spürte aber, dass sie ihr nicht helfen konnte, wenn sie sich aufdrängte. Nur Oma Liesel und Charlotte, Caros jüngste Tochter nahmen keine Rücksicht auf „Letzie“, wie Charlotte Alexandra nannte. Sie kam ins Zimmer, wenn Alexandra nicht schlief. Sie zog ihre Puppen hinter sich her, spielte vor Alexandras Bett mit ihnen und forderte sie auf, die Puppen anzuziehen, zu kämmen und vor allem zu trösten. Weil sie nämlich „Tumma“ hätten und ganz viel weinen müssten. Oma Liesel war in den Abendstunden, in denen der Kummer über Alexandra herfiel, wie ein Raubtier über seine Beute, eine Bastion des Trostes. Manchmal sprach Alexandra so gut es eben ging und erzählte von ihrer Beziehung, von den traurigen Momenten, wenn sie wieder nicht schwanger geworden war und von der Fehlgeburt. Wie sie versuchte, den Verlust zu verarbeiten. Oft aber saß Oma Liesel nur schweigend mit ihrem Strickzeug im Sessel, trank Tee und das rhythmische
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