Rheingau-Roulette
lächeln. Der Tag fing schon unrhythmisch an.
Der Weg folgte einer kleinen Anhöhe und die Musik in ihren Ohren verleitete sie zu einem schnelleren Tempo. Dafür würde sie bezahlen müssen, das wurde ihr klar, als sie auf ihre Pulsuhr schaute. Zu schnell. Viel zu schnell. Ihre Gedanken wanderten zur letzten Nacht zurück. Als sie über ihre Alpträume sinnierte, bemerkte sie, dass sie das erste Mal seit langer Zeit nicht von Oliver geträumt hatte.
Oliver. Ihr Lebens- und Arbeitspartner, den sie im Dezember verlassen hatte. Zwei Jahre hatten sie vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen. Zwei Jahre, in denen die Sehnsucht nach einem Baby ihr Leben dominierte. Schließlich waren sie in einer Kinderwunschpraxis gelandet. Oliver war nur eingeschränkt zeugungsfähig und Alexandra hatte unregelmäßige Eisprünge, die eine „normale“ Befruchtung erschwerten. Einer Hormonbehandlung gegenüber waren sie kritisch eingestellt, und während sie die Vor- und Nachteile in schier endlosen Nächten besprachen, wurde sie schwanger. Ihre Schwangerschaft dauerte genau elfeinhalb Wochen. Dann verlor sie das Kind. Sie und Oliver trauerten um ihr Sternchen. Das heißt, im Nachhinein betrachtet, trauerte sie wohl mehr als Oliver – oder er verarbeitete seine Trauer anders. Alexandra lachte höhnisch auf. Jedenfalls hatte er das behauptet. Seine Trauerarbeit. Von wegen. Er hatte ihre Angestellte, eine kleine pummelige Landpomeranze namens Leila angebaggert und nicht nur das. Er hatte sie auch geschwängert. Nur drei Wochen nach dem Verlust ihres Kindes. Voller Wut zog sie ihr Lauftempo noch mal an. Und sie war auch noch so dämlich und hatte Leilas Blicke als Mitleid interpretiert. War es wohl auch. Nur nicht wegen ihrer Fehlgeburt. Die Schmerzen der Blutung, die dem Absterben des Embryos folgten, waren fast unerträglich. Noch unerträglicher waren ihre Schmerzen, als sie am Nikolaustag von Leila erfuhr, wer der Vater ihres Kindes ist.
In der Praxis hatte Alexandra eine Behandlung beendet und füllte gerade noch die Karteikarte über den Behandlungsverlauf aus, als Leila herein kam, um ihre Patientenakten an sie zu übergeben. Ihr dicker Schwangerschaftsbauch drückte die Kontur ihres unförmigen Bauchnabels durch den dunklen Pullover. Wie ein Magnet zog er die Blicke auf sich.
Für Alexandra war es schwer genug, dass Leila schwanger wurde, während sie noch den Verlust ihres Kindes bearbeitete. Sie empfand die Fröhlichkeit und Zufriedenheit, die Leila ausstrahlte, als Belastung. Die wohlige Behaglichkeit und die Präsentation ihres enorm großen Umfangs, den Leila augenscheinlich genoss, sorgten dafür, dass Alexandra den Kontakt mit Leila, so weit es die Arbeitssituation zuließ, vermied. Meistens war sie auf Hausbesuchen, wenn Leila in der Praxis war. Alexandra war froh, dass heute der letzte Arbeitstag ihrer Angestellten war und sie in den Mutterschutz ging.
„Leila, alles so weit fertig für die Übergabe? Kommst du in mein Büro?“ Sie winkte ihrer Kollegin zu.
Die Patienten, die bisher von Leila behandelt wurden, würde Alexandra übernehmen. Sie hatte ihre Arbeitszeit aufgrund ihrer seelischen Verfassung in den letzten Monaten deutlich reduziert. Jetzt wollte sie mehr arbeiten, auch um dem ständigen Grübeln über ihre Fehlgeburt zu entkommen. Ihre Therapeutin hatte ihr das empfohlen und Alexandra sah ein, dass sie sich wieder mehr dem Leben und Oliver zuwenden musste.
Leila nickte. Nach einer Stunde waren alle Patienten besprochen und die Behandlungsdaten übergeben. Alexandra dehnte sich am Schreibtisch. Sie war müde und freute sich auf den Feierabend.
„Ja dann, Leila. Was kann ich dir für die nächsten 6 Wochen wünschen, bevor du in ein neues Leben mit Kind startest?“
Leila schaute sie nachdenklich an.
„Vielleicht, dass sich der Vater zu dem Kind und mir bekennt?!“
„Wieso? Tut er das denn nicht?“
Alexandra war erstaunt. Leila hatte bisher nie etwas über den Vater des Kindes erzählt.
„Nein, Alex. Das tut er nicht. Jedenfalls nicht bis heute. Er ist in einer Beziehung.“ Leila legte beide Hände auf ihren Bauch. „Genauer gesagt, du hast eine Beziehung mit dem Vater meines Kindes.“
Gehört ist nicht verstanden. Alexandra wunderte sich über die merkwürdige Ausdrucksweise. Was sagte Leila da? „Ich habe eine Beziehung mit dem Vater deines Kindes?“, fragte sie spröde. Nur tröpfelnd erreichte der Inhalt des Gesagten ihr Bewusstsein.
„Oliver ist was?“
Alexandra fühlte
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