Rheingau-Roulette
Klappern der Stricknadeln hatte eine beruhigende Wirkung auf ihre Enkelin.
Am dritten Abend legte Liesel das Strickzeug zur Seite und sagte: „Du brauchst eine Luftveränderung. In die Praxis kannst du unter den Umständen nicht zurück. Ausziehen wirst du auch müssen, oder zieht Olli aus?“
„Keine Ahnung. Wir haben nicht darüber gesprochen.“
Alexandra zuckte mit den Schultern. „Ich weiß ja gar nicht wohin. Aus der Praxis will ich raus.“ Sie zögerte. „Nein, ich muss raus. Stell dir mal vor, die kriegt in sechs Wochen ihr Kind und kommt dann nach der Elternzeit zurück. Ich kann sie ja nicht kündigen. Nee, das tue ich mir nicht an.“
„Nein, das solltest du gewiss nicht tun.“ Oma Liesel schob ihr Strickzeug zusammen und packte es in ihren Stoffbeutel. „Du könntest für 2 Wochen zu deiner alten Gastfamilie nach Schottland gehen und danach alles Weitere hier klären. Du musst deinen finanziellen Ausstieg aus der Praxis mit Oliver besprechen. Wirst du dazu einen Anwalt brauchen?“
„Einen Anwalt? Keine Ahnung. Ich weiß plötzlich gar nichts mehr über diesen Mann.“
Alexandra dachte an die nächtlichen Stunden, die sie im Streit mit Oliver verbracht hatte. Es war, als ob sie mit einem Unbekannten redete. In all ihrer gemeinsamen Zeit war ihr überhaupt nicht bewusst gewesen, wie rechthaberisch er sein konnte. Seine Begründungen, warum er mit Leila geschlafen hatte, waren so flach. Ihre Frage, ob er in sie verliebt sei, konnte er nicht beantworten. Oder er wollte es nicht beantworten. Und dass er sie so lange belogen hatte, war für sie der Beweis, dass er ein feiges Arschloch war.
Als Alexandra nach drei Tagen das erste Mal wieder aufstand, weil sie sich in der Küche einen Kaffee holen wollte, war Caro gerade auf dem Weg, um ihre drei Töchter in den Kindergarten zu bringen. Charlotte strahlte sie an und sagte: „Letzie, Tumma is vobei?“
Alexandra wuschelte ihr liebevoll durch das kurze dicke Haar. „Fast vorbei, Schatz, fast.“
Caro schob Lotte zur Tür und sagte über die Schulter zur Alexandra: „Wenn du aus der Dusche kommst, bin ich mit Brötchen wieder da. Dann können wir zusammen frühstücken.“ Alexandra nickte nur und ging ins Bad.
Der Kaffee plätscherte in die Kaffeetasse und Alexandra nahm den Duft frischer Brötchen wahr. Caro stand neben ihr und legte ihr ein Brötchen auf den Teller.
„Marmelade oder Honig?“
„Nusscreme. Hast du welche da?“
Caro schmunzelte und zauberte ein Glas aus ihrer Hand.
„Willst du gleich das ganze Glas und den Löffel nehmen ...?“
„Danke, aber ich glaube, ich versuche es erst mal mit der normalen Portion auf Brötchen.“ Auch Alexandra musste lächeln.
Nusscreme war das Seelenheilmittel ihrer gemeinsamen Zeit in Hessen. Wie oft hatten sie bei Liebeskummer mit einem Glas und zwei Löffeln auf dem Dachboden ihrer Eltern gesessen, sich über die angesagten Jungs unterhalten, von ‚New Kids on the Block’ geschwärmt und dabei so viel Nusscreme gegessen, bis ihnen schlecht wurde.
Alexandra räusperte sich. Sie hatte einen Entschluss gefasst. „Ich werde mit Jane telefonieren. Wenn es geht, werde ich eine Zeitlang nach Edinburgh gehen.“
Nach dem Abitur war sie als Au-Pair Mädchen für ein Jahr nach Edinburgh gegangen, zu einer deutsch-schottischen Familie mit zwei Kindern. Noch immer hatten sie Kontakt und trafen sich regelmäßig. Jane, ihre Gastmutter, hatte mit ihr am gleichen Tag Geburtstag, war aber fünfzehn Jahre älter. Sie hatten sich damals gleich gut verstanden, als sie am zugigen Flughafen in Schottland standen. Jane hatte gelästert, dass sie für eine Deutsche erstaunlich gut englisch spräche, worauf hin Alexandra erwiderte, für eine Schottin spräche sie auch ganz gut englisch.
„Hmm. Wenn du meinst. Wie willst du dich mit Olli einigen?“ Caro sah sie fragend an.
Alexandra knetete nervös ihre Hände.
„Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht. Einerseits möchte ich ihn nie mehr sehen, andererseits kann ich auch nicht den Kopf in den Sand stecken. Ich muss den Ausstieg aus der Praxis und meinen Umzug regeln.“
„Ja, das musst du. Du kannst nicht mit Oliver zusammenwohnen, wenn er Vater wird.“ Caro legte ihren Arm um Alexandra und drückte sie an sich. Leise sagte sie: „Möglicherweise wird Leila zu ihm ziehen.“
„Ich weiß.“ Unglücklich sah Alexandra zu Lumpi, der sich auf dem Küchenboden in der Sonne aalte. „Ich muss irgendwo meine Sachen unterbringen.“
„Das
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