Rheingau-Roulette
einen Stich im Herz. Einen heißen Stich, der sich rasend schnell zu einem schmerzhaften Flächenbrand von unerträglichem Ausmaß entwickelte. Was erzählte Leila da? Was hat ihr Kind mit Oliver zu tun?
„Was erzählst du da? Was soll das heißen?“
„Ich erzähle dir gerade, dass ich von deinem Freund schwanger bin.“
Leila erhob sich schwerfällig aus dem Lehnstuhl. „Ich erzähle dir, dass dein Freund Vater wird. Ich erzähle dir, dass ich mit deinem Freund, meinem Chef, ein Verhältnis habe und gemeinsam mit ihm ein Kind erwarte!“
Alexandra schaute Leila versteinert an. Leila dehnte sich und ihre selbstverliebte Haltung widersprach dem Anschein von Bedauern, den sie sich zu geben versuchte.
„Glaub mir, das hier fällt mir nicht leicht. Aber ich werde keine allein erziehende Mutter sein. Und ich finde, es ist jetzt an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst. Ich habe mit deinem Oliver seit April eine Beziehung. Und er wird sich zu mir und zu dem Kind bekennen. Das hat er mir versichert.“ Sie drehte sich zur Tür.
„Wir haben alles besprochen. Ich bin jetzt sofort weg, du musst mich also nicht mehr sehen. Ich vermute, wenn ich aus dem Erziehungsurlaub zurückkomme, hat sich für unsere Arbeitssituation eine Lösung ergeben. Oliver wird das mit dir besprechen.“ Die Tür klappte ins Schloss.
Stumm saß Alexandra an ihrem Schreibtisch. Der kleine, dicke Schokoladennikolaus, den ihr ein Patient heute Morgen geschenkt hatte, grinste sie an. Drei Patienten musste sie noch behandeln. Ihr Herz schmerzte. Drei Patienten. Kann ein Herz brechen? Drei Patienten. Danach kann sie zusammenbrechen. Ihr Mantra. Drei Patienten. Drei. Nur noch drei.
Die Therapien liefen ab wie in einem Film. Ihre Stimme war fast weg, wie immer bei emotionalen Entgleisungen. Sie lachte tonlos mit einem kleinen Mädchen, die über die vielen Spiele im Regal staunte und begeistert sagte, dass sie jeden Tag kommen möchte. Sie behandelte einen Langzeitpatienten mit einer massiven Sprachstörung nach einem Schlaganfall, der mit seiner schwierigen Ehefrau kam. Und sie behandelte die Stimmstörung eines Managers, der ihr hastig erklärte, für diesen therapeutischen Quark keine Zeit mehr zu haben. Danach war sie wie ausgepumpt. Oliver war den ganzen Tag auf Hausbesuchen und in der Praxis war sie nach dem Abgang von Leila und der Putzfrau, die am späten Nachmittag kam, allein. Sie saß verstört an ihrem Schreibtisch und spielte die Szenarien durch, die sie erwarteten.
Nach Hause kommen. Oliver zur Rede stellen. Von ihm ausgelacht werden.
„Was hat Leila gesagt? Ich bin der Vater ihres Kindes? Sag mal, hat die Alte einen Hormonschub? Das glaubst du doch nicht wirklich? Was soll ich denn mit der kleinen dicken Landpomeranze?“
Nach Hause kommen. Oliver zur Rede stellen.
„Es tut mir leid, Schatz. Es war ein einmaliger Ausrutscher. Ein One-Night-Stand. Leila hat mich in einem meiner traurigsten Lebensmomente überrumpelt. Ich war betrunken, wusste nicht mehr, was ich tat.“
Nach Hause kommen. Oliver zur Rede stellen. Leila vorfinden, die sich wort- und tränenreich entschuldigt und alles zurücknimmt.
Nach Hause kommen.
Setzt voraus, dass man imstande ist, die Praxis zu verlassen.
Es war zwei Uhr nachts, als die Praxistür aufgeschlossen wurde und Oliver in Alexandras Therapieraum trat. Sie sah ihn nur an und wusste, dass all die Szenarien, die sie sich vorgestellt hatte, nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten.
„Was soll nun werden?“
Rau hörte sich ihre Stimme an und sie fühlte sich, als ob nicht sie spräche, sondern eine andere, eine fremde Frau. Eine, die keinen Schmerz fühlt und nicht mit diesem Mann sprechen müsste, der ihr einmal so nahe war.
„Es tut mir leid.“ Oliver klang ebenfalls heiser. Er setzte sich in den Lehnstuhl, in dem die Mutter seines Kindes am Nachmittag noch saß.
„Es tut mir so unendlich leid. Wirklich.“
„Was? Was tut dir genau leid? Dass du mich betrogen hast? Oder dass du mich das Dreivierteljahr belogen hast?“
Alexandra wandte gequält den Kopf ab. Ihre Stimme wurde immer rauer und das Sprechen wurde immer schwerer für sie.
„Dann habe ich wohl allein um unser Kind getrauert.“ Es war keine Frage, sondern eine bittere Feststellung und die Aussprache dieser Feststellung ließ das schmerzhafte Pochen ihres Herzens noch heftiger werden.
Erbost sprang Oliver auf.
„War ja klar, dass das jetzt kommt. Die arme Alexandra. Hatte eine Fehlgeburt.“ Er knallte seine
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