Rheingold
einmal schmerzlich, als mit der letzten Wehe die blutige Nachgeburt in die Hände der Waliserin fiel. Dann legte Siglind ihren Sohn an die Brust, ohne zu spüren, wie die Magd sie wusch, und flüsterte ihm ins Ohr: »Jetzt bist du geboren ... du ein echter Wälsung. Und du wirst heranwachsen, um die Rache zu vollziehen.« Siglind hatte geschlafen, und als sie erwachte, aß sie ein Stück getrockneten Fisch. Plötzlich hörte sie Siggeirs lauten Jubel und seinen Ruf nach heißem Bier. Ihr Mann und die Seherin traten gemeinsam in die Kammer. Von ihrem Mantel tropfte der schmelzende Schnee, und das Wasser rann von Siggeirs eisigem Bart. »Ist es wahr« fragte Siggeir, »habe ich einen Sohn?« »Er ist gesund und kräftig«, erwiderte Siglind und hob das Kind hoch, um es Siggeir zu zeigen. Der Drichten nickte zufrieden. »Er ist größer, als die anderen es waren.« Er kitzelte den Kiemen mit einem eiskalten Finger unter dem Kinn. Siglinds Sohn schrie bei der Berührung auf und schnappte mit dem rosaroten Kiefer, als versuche er, Siggeir zu beißen. »Ha, er ist bereits ein kleiner Krieger!« rief der Drichten stolz. Er drehte sich um und umarmte die rundliche Freydis so heftig, daß ihr die Luft aus der Lunge gepreßt wurde wie einem Pferd, dessen Reiter den Sattelgurt plötzlich anzieht. »Neun Monate sind vergangen, seit meine Frau bei dir war«, sagte er. »Was kann ich dir geben, um dich angemessen zu entlohnen?«
»Du schuldest mir nichts, Drichten Siggeir«, erwiderte Freydis. Der Mantel und die Kapuze verbargen immer noch ihr Gesicht, aber ihre Stimme klang nachdenklich und ein wenig traurig. »Die Freude über Siglinds Sohn soll uns genug sein.«
»Ich muß dir etwas geben«, widersprach Siggeir. »Möchtest du Land, Gold, Rinder? Sag, was du willst, und ich werde es dir gerne geben.«
Es schien Siglind, als richte sich der Blick der Seherin kurz auf das blanke Schwert, das neben ihr lag. Dann schüttelte Freydis den Kopf. »Ich habe nur getan, was getan werden mußte... und nur das, was die Götter von mir verlangt haben. Ich will keinen Lohn von dir.«
»Wenn du deine Meinung änderst, sag es mir«, erklärte Siggeir, »bleibst du wenigstens bis zum Namensfest meines Sohnes?«
Freydis blickte zum Rauchfang hinauf, nahm die Kapuze ab und überließ den nassen Umhang der Magd. »Ich glaube, mir bleibt kaum eine andere Wahl... ich bleibe natürlich sehr gern.« Siglind lächelte ihr in geheimem Einverständnis zu, legte die Hand auf das Schwert und sah in ihrem Innern, wie ein großer Wolf mit einem hellen Fell vor der Höhle stand, den Kopf hob und heulte. Dann sprang er über eine Schneewehe und verschwand im Tal.
Neun Tage später schlug Siglind unter der Brücke ein Loch in das Eis des Flusses und holte eine Schale Wasser heraus. Die Wunden waren schnell geheilt. Sie konnte ihren Sohn selbst tragen, als sie den gewundenen Weg von der Halle durch den Wald zu dem heiligen Hain ging, wo der geweihte Stein stand. Der Schnee auf dem Weg war niedergetreten, denn Siggeirs Volk wollte bei der Namengebung vom Sohn des Drichten dabeisein. Die Leute standen in dicke Wolle und Felle gehüllt um den Stein. Siglind wußte, sie alle würden das Heranwachsen ihres Sohnes mit größter Aufmerksamkeit verfolgen, denn mit dem Kindersegen des Ingling-Königs stand und fiel das Glück seines Landes. Ihr mißfiel, daß Sigmunds Sohn mithelfen würde - auch wenn es nur wenige Jahre sein sollten -, Siggeirs Macht zu festigen, aber dagegen ließ sich nichts tun.
Siglinds Sohn schrie laut, als das eiskalte Wasser auf seine Stirn tropfte, und sein Geschrei wurde noch zorniger, als Siggeir ihn hochhob. »Und so gebe ich dir den Namen Sinfjotli, Siggeirs Sohn, und nehme dich in die Ingling-Sippe auf«, rief der Drichten. Aber während seiner Worte sah Siglind, wie ihr Bruder das Wolfsfell vom hellen Gesicht zog. Er stand blaß und nackt im Schnee auf einem Berggipfel. Das grauweiße Fell lag zu seinen Füßen. Um die Worte des Inglings abzuwenden, schlug sie genau wie ihr Bruder schnell ein Schutzzeichen,
ᚦ
, schob den Daumen durch die Faust und machte die Hand zur Thurse-Rune.« Siggeir bemerkte nichts von dem knisternden Blitz, den Siglind schleuderte, und von den Anwesenden schreckte nur Freydis zusammen. Aber sie blickte Siglind nicht an, sondern zog stumm die pelzbesetzte Kapuze dichter um den Kopf.
*
Neun Tage nach dem Vollmond kehrte der Wolf zur Höhle zurück, wie er es inzwischen gewohnt war. Er lief durch den
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