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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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zeigte sich gerade das erste Licht, als Siglind den Zaun erreichte, wo ihr Pferd bereits angebunden stand. Freydis wartete am Tor. Ihre schlanke, weiße Gestalt schimmerte in der morgendlichen Dämmerung. Das Gesicht mit den spitzen, hohen Wangenknochen wirkte ernst und still.
    »Hast du getan, was du tun mußtest?« fragte sie. Siglinds zufriedenes Lächeln beantwortete die Frage. »Dann komm ins Haus«, und unverständlicherweise fügte sie hinzu, »tut mir leid...« Das Feuer brannte bereits unter dem Kessel. Der stechende Rauch erfüllte die Luft. »Diesmal wird es leichter, weil wir in unsere eigenen Gestalten zurückkehren. Du mußt nur die Kleidung mit mir wechseln und sagen: ›Ich, Siglind, die Tochter von Wals, kehre in meine Haut zurück‹, während du dich anziehst.«
    Die beiden Frauen legten die Kleider ab und tauschten sie stumm. Während Freydis' Tonlage bei den Worten nach unten sank: »Ich, Freydis, Tochter des Anulib, kehre zurück in meine Haut«, klang Siglinds Stimme unsicher und wurde sofort wieder höher, als sie sagte: »Ich, Siglind, Tochter von Wals, kehre zurück in meine Haut.« Der Zauber wirkte sofort. Siglind knöpfte mühelos das weiße Kleid zu, mit Fingern, die so dünn und hart schienen wie die Krallen eines Vogels. Sie schüttelte die langen, glatten Haare und schob sie über die Schultern, dann legte sie den Gürtel um die schlanke Taille. Aber zwischen den Beinen fühlte sie sich immer noch ein wenig wund, und wenn sie sich bewegte, spürte sie die leichte Feuchtigkeit von Sigmunds Samen. Und sie dachte: Ja, was er mir gegeben hat, wird bleiben und wachsen...
    Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung reckte sich Freydis, hakte den Rock über den breiten Hüften zu und legte die Bernsteinkette um den Hals. »Gut, das wäre das«, sagte sie. Sie musterte Siglind, stemmte die runden Fäuste in die Hüften und hob die Augenbrauen. »Also Kleines, dein Mann ist wirklich sehr nett, aber drei Nächte Spaß sind kein ausreichender Lohn für eine solche Arbeit.«
    »Ich ...«, stammelte Siglind.
    Die Seherin lachte. »Oh, ich mache doch nur Spaß. Ich habe nicht erwartet, daß du etwas für mich aus der Höhle mitgebracht hast...« Sie lachte noch lauter und wischte sich die Tränen aus den Augen. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sagte sie: »Schick mir, was du für angemessen hältst. Wenn du willst, warte so lange, bis du mit Sicherheit weißt, daß du schwanger bist.«
    Siglind nahm die goldene Kette vom Hals, deren schimmernde Glätte ihr wie schweres Flußwasser durch die Finger rann. »Hier«, sagte sie, »möchtest du das haben?«
    Freydis zog die Augenbrauen zusammen und stieß einen leisen Pfiff aus. »Bist du sicher, Siglind? Du bist die Tochter eines Drichten ... du weißt doch, was sie wert ist?«
    »Ich weiß es. Siggeir hat mir mehr Gold gegeben, als ich haben möchte. Aber du... du hast mir etwas gegeben, was ich...« Sie konnte nicht zu Ende sprechen. Freydis umarmte sie. »Nun geh, Kleines«, sagte sie, »dein Mann wird jetzt aufstehen, und er möchte dich unbedingt
    sehen, bevor er aufbricht. In den letzten beiden Tagen hat er seine Leute um sich versammelt und Schiffe gerüstet, um zu einem Kriegszug aufzubrechen. Du hast ihm gesagt, daß du zur Seherin reitest, um sicher zu sein, daß er dir etwas zurückläßt, bevor er wieder in den Kampf zieht. Er wartet nun auf dich, und die Götter wissen, es wird ihn nicht überraschen, wenn dein Leib wieder dick wird.« Sie lachte zufrieden. »Danke«, sagte Siglind, als Freydis sie zur Tür brachte. »Bedanke dich nicht bei mir.«
    Freydis hatte dem Braunen den Sattel nicht abgenommen. Siglind löste die Zügel, saß auf und ritt zurück. Auf halbem Weg setzte heftiger Regen ein, und als sie das Pferd auf die Koppel brachte und zu Siggeirs Halle hinauflief, war sie bis auf die Haut durchnäßt. Siggeir stand an der Tür. Seine roten Haare waren zerzaust, und die rote Tunika saß schief. Das lange, schmale Gesicht wirkte so lebendig wie seit Harigasts Tod nicht mehr. Die blassen Augen richteten sich sehnsüchtig auf Siglind, und seine Lippen öffneten sich zu einem Lächeln. Er drückte sie an sich und küßte sie schmatzend. »Hat die Seherin getan, was du von ihr wolltest?« fragte er atemlos. Siglind zog seine Tunika gerade und schob ihm die Haare aus der Stirn.
    »O ja«, antwortete sie und schüttelte sich in ihren nassen Kleidern. Ihr Blick fiel auf Sigmunds Schwert, und sie dachte: Wenn ich es doch nur wagen

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