Rheingold
erst acht Winter erlebt«, antwortete der Junge. »Aber ich kann jeden, der vierzehn Winter alt ist, auf die Knie zwingen. Auch Siggeirs Krieger finden, ich sei alles andere als schwach. Ich hätte den Wolf getötet. Hast du ihn vielleicht erledigt?«
»Zeig mir, ob du ringen kannst«, erwiderte Sigmund, ohne seine Frage zu beantworten. Da er als Wolf die erstaunliche Kraft des Jungen bereits kennengelernt hatte, verblüfften ihn das Geschick und die Stärke nicht, mit der Sinfjotli den spielerischen Angriff abwehrte. Sie rangen eine Weile miteinander, bis Sigmund den Jungen schließlich rücklings auf die Erde warf und ihm Hände und Füße festhielt, so daß er sich nicht mehr wehren konnte.
*
Siggeir schickte seine Leute kreuz und quer durch den Wald, um Sinfjotli zu suchen, aber sie fanden ihn nicht. Der Junge war spurlos verschwunden. Siglind stellte bald fest, daß man sie verstohlen musterte, wenn sie im Dorf erschien, oder die Leute bei ihrem Näherkommen schlagartig verstummten. Sie ging langsam und wachsam durch das Dorf, wenn sie wie an diesem frühen Sommermorgen bei Tonard, dem Färber, blaue Stickwolle kaufen wollte. In der Nähe von Stangrims Haus hörte sie ihren Namen. Sie blieb stehen und zog sich in den Schatten zurück, als sie hinter der Hausecke drei Männer stehen sah. »Siglind ist an allem schuld«, sagte Stangrim. »Das Wetter ist gut, und die Gerste wächst, aber Siggeirs Blut kann sich nicht mit dieser Sippe mischen. Nicht nach...«
»Es war kein Hinterhalt. Sie kamen bewaffnet und wollten kämpfen«, erklärte Agantiwar, »aber ich verstehe, was du sagen willst. Sie hat uns kein Glück gebracht... nein, das ganz bestimmt nicht.«
»Und habt ihr... sie vergessen?« fragte Rabanhelm. »Die alte Hexe ist tot, und Siglind hat mitgeholfen, ihr Unwesen zu beenden. Für mich ist das etwas Gutes.» »Vom Regen in die Traufe«, erwiderte Agantiwar, »ich weiß nicht, wie der Drichten mit ihr die ganze Nacht zusammen sein kann, wenn sie aus dem Wald kommt.«
»Ach«, sagte Stangrim und zog an seinem grauen Bart, »er ist ein echter Ingling. Und ein Ingling sorgt schon dafür, daß ihm der Zauber einer Frau nicht schadet. Der Segen und das Fest der Winternächte war noch nie so üppig, und bis auf den einen Winter vor Sinfjotlis Geburt haben wir nicht hungern müssen, seit er Drichten ist. Das Glück hat Siggeir noch nicht verlassen. Keine Angst, er weiß, wie er mit seiner Frowe umzugehen hat. Aber es wäre kein Fehler, wenn er eine Nebenfrau hätte, die ihm Kinder schenkt. Siggeir könnte sich doch ohne weiteres zwei Frauen leisten.«
»Er hat seine Söhne verloren«, wandte Agantiwar ein, »drei Söhne - und diese Frau hat seit Sinfjotli keine Kinder mehr bekommen. Ich finde, er sollte sie im Moor neben Kara ertränken und dann eine andere Frau nehmen.«
»Sei still«, fuhr ihn Stangrim an, »die Götter werden früh genug das Urteil sprechen. Solange das Land fruchtbar ist, sollten wir schweigen. Erst wenn das neunte Jahr vergeht und sie nicht schwanger ist, wird sich etwas ändern, und dann werden wir sehen.« Siglind hatte genug gehört und ging weiter. Die drei Männer verstummten, als sie an ihnen vorüberging. Sie spürte ihre schuldbewußten Blicke im Rücken, aber sie hob den Kopf hoch und beachtete sie nicht. Mit dem Vollmond oder dem darauffolgenden Tag würde ihr Blut wieder fließen wie an jedem Mond seit Sinfjotlis Geburt. Vielleicht war damals etwas in ihr zerrissen, und Siggeirs Samen konnte sie nicht mehr schwängern. Siglind war froh darüber.
*
Siglinds Regel blieb in dieser Nacht aus und stellte sich auch in der nächsten nicht ein. Als der Mond nur noch eine schmale, leuchtende Sichel war, wurden ihre Brustwarzen weich, und sie hatte morgens mit Übelkeit zu kämpfen. Da wußte Siglind, daß sie schwanger war.
Als diese Erkenntnis zur Gewißheit wurde, übertrug sie es Helche und der Waliserin, das Brot zu backen und verließ die Halle. Das Getreide stand bereits hoch, und der Wind wiegte die blaßgrünen Halme auf den Feldern. Siglind fand, die alte Blutschuld hätte das Land verdorren oder zumindest eine sichtbare Narbe zurücklassen müssen, wie an Siggeirs rechtem Arm, wo die Wunde aus jener Schlacht nie mehr richtig verheilte. Aber hier draußen war nichts von all dem zu sehen. Schon am frühen Morgen war es sehr warm. Die Sonne brannte, und als Siglind schließlich den Wald erreichte, fand sie den Schatten der Bäume sehr angenehm.
Siglind hatte kein Ziel
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