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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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Erschöpft sank er schließlich auf den Rücken und blieb regungslos liegen.
    Lange Zeit spürte er nichts als den heftig pulsierenden Schmerz in der Körpermitte. Das weiße Rad der roten Sonne glühte hin und wieder im dunklen Nebel, der seine Augen umgab. Die Sonne wurde rot und versank schließlich in der Dunkelheit. Der Schlachtenlärm war schon lange verklungen und mit ihm das Geschrei der Männer, nur noch das heisere Krächzen der Raben und Krähen war zu hören, die sich zum Festmahl auf den Toten niederließen. In das Schlagen der Flügel mischte sich das verstohlene Rascheln der Füchse und anderer Tiere.
    »Sigmund? Awilimo? Vater, wo bist du? Sigmund?« rief eine Frau. »Siglind?« flüsterte er, hob stöhnend den Kopf und versuchte, die Augen zu öffnen. Die fahle Hälfte des abnehmenden Mondes warf ein bleiches Licht auf das Schlachtfeld. Er erkannte zwei dunkle Schatten, die langsam durch die Berge der Toten liefen. »Sigmund?« hörte er wieder jemanden rufen. Nein, dachte er, das ist nicht Siglind... vielleicht ist es Alflad? Dann erinnerte er sich: Herwodis, sie ist Lingwe entflohen. Das ist das Wichtigste! »Herwodis«, flüsterte Sigmund, und das dicke Blut quoll ihm über die Lippen. Die Rippen drückten gegen den Speer, als er erstickt aufschrie und Blut hustete. Es würde nicht mehr lange dauern. »Hier bin ich...«
    Kraftlos streckte er die Hand aus und ließ sie wieder sinken.
    Herwodis eilte durch die erstarrenden Leichen; sie stolperte in ihrer panischen Hast. Als sie ihn schließlich erreicht hatte, kniete sie sich neben ihn und küßte seine blutigen Lippen. Sigmund schloß die Augen und biß die Zähne zusammen, aber er war froh, Herwodis an seiner Seite zu haben. Es fiel ihm schwerer und schwerer zu atmen, denn das Blut füllte bereits die Lungen.
    »Kannst du geheilt werden?« fragte sie angstvoll, »glaubst du...?«
    »Ich habe viele Männer gesehen, die wieder gesund geworden sind, obwohl keine Hoffnung bestand... aber mein Glück hat mich verlassen ... ich werde nicht mehr gesund«, antwortete er langsam und stockend. Seine Qualen ließen nach. Er spürte seine Hände, seine Füße nicht mehr. Die Worte kamen fern und losgelöst über die leblosen Lippen. »Es ist Wotans Wille, daß ich das Schwert nicht mehr ziehe, denn er hat mein Schwert zerbrochen. Ich habe gesiegt, solange es ihm gefiel. Aber Wotans Zorn hat Lingwe und seine Krieger vertrieben.«
    »Aber was ist mit meinem Vater? Ich habe seinen Leichnam gesehen. Du mußt gesund werden, um ihn zu rächen...« Die Tränen rannen Herwodis wie flüssiges Silber über die bleichen Wangen. »Das ist einem anderen bestimmt«, erwiderte Sigmund. Der Schmerz war verschwunden. Er war ruhig, und Frieden umgab ihn wie warmes Wasser. »Ich weiß jetzt, daß du ein Kind bekommst. Es wird ein Junge sein. Erziehe ihn gut. Mein Sohn wird der größte und berühmteste der Wälsungen sein. Suche die zwei Stücke meines Schwerts und bewahre sie auf. Ein neues Schwert wird daraus geschmiedet werden, und es soll Gram heißen. Unser Sohn wird es bekommen, und seine Taten werden nie vergessen werden, denn sein Name wird leben, solange die Welten bestehen. Sei damit zufrieden. Aber ich bin meiner Wunden müde und muß zu unseren Ahnen, die auf mich warten.«
    Er hob zitternd die Hand und legte sie flach auf den Leib seiner Frau, während die Dunkelheit sich um ihn ausbreitete. Er sah einen hellen Funken, der aufflammte in leuchtendem Rot und sich in die drei ineinander verschlungenen Dreiecke des Walknotens verwandelte, so wie er es vor vielen Jahren gesehen hatte. Da war er beruhigt und bereit, in die Dunkelheit zu sinken.

    *

    Herwodis blieb neben Sigmund sitzen. Ihre Knöchel schmerzten, und die Füße wurden gefühllos. Sie blieb, bis seine Hand auf ihrem Körper kalt wurde. Dann erhob sie sich und rief leise: »Hilde, er ist tot. Wir müssen sein Schwert finden.«
    Die beiden Frauen zogen und schoben an den Toten und verscheuchten Wiesel und Ratten, als sie auf dem Schlachtfeld das Schwert suchten. Herwodis schauderte es bei der Berührung kalter schleimiger Eingeweide, und sie erschrak vor starren blicklosen Augen im fahlen Mond. Sie erkannte die Gesichter der Gefolgsleute ihres Vaters, die sie auf die Schultern gehoben hatten, als sie noch ein Kind gewesen war. Sie sah Sigmunds Krieger, deren Namen sie gerade erst gelernt hatte. Die Toten schienen anklagend auf sie zu blicken, als sei es ihre Schuld, daß sie jetzt starr und steif hier lagen

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