Rheingold
wäre er bestimmt ein ausgezeichneter Skop.«
»Was ist eigentlich mit ihm los? Warum ist er so ... ?« Sigfrid fehlten die Worte.
Gunter sah sich verstohlen um, aber nur die kleinen Steppenpferde waren in Hörweite. Sie blickten hin und wieder gelangweilt auf die beiden Jungen hinter dem Holzzaun, während sie mit den dunklen struppigen Schweifen die Fliegen verscheuchten und langsam Heu kauten.
»Darüber sollen wir mit niemandem sprechen, der nicht zur Familie gehört. Aber das wirst du ja bald, und deshalb solltest du Bescheid wissen. Es darf uns allerdings kein Mensch zuhören. Gibt es irgendwo einen Platz, wo wir ungestört miteinander reden können?«
»Komm mit«, sagte Sigfrid und lief mit Gunter über die Wiese. Sie wichen den Pferdeäpfeln aus und pflückten die kleinen roten Erdbeeren im Gras. Sigfrid führte seinen neuen Freund zu einem Wasserlauf unterhalb der Halle. Sie gingen zum Wald hinauf, wo sich der Bach zu einem schmalen Rinnsal mit grauen Steinen verengte. Schließlich erreichten sie einen niedrigen Hügel, an dessen Fuß unter einem großen gelb grauen Sandstein mit weißen Quarzadern die Quelle entsprang.
»Hier unter dem Stein sind wir ungestört«, erklärte Sigfrid, »Also, was ist das für ein Geheimnis?«
Gunter blickte ihn ernst an und biß sich nachdenklich auf die Unterlippe. »Paß auf. Ich möchte, daß du zuerst begreifst, daß ich es dir erzähle, damit du in Zukunft mit niemandem darüber sprichst. Die Leute reden ab und zu darüber, und ich glaube, nachdem du die Wahrheit kennst, wirst du dich richtig verhalten, wenn es um Hagens Ruf geht... und den unserer Familie. Hast du verstanden?«
»Ich habe verstanden.«
»Gut. Wir glauben, Hagen ist nicht wirklich Gebikas Sohn.«
Sigfrid bekam große Augen. »Du meine Güte, jetzt verstehe ich, warum Gudrun so wütend geworden ist«, sagte er langsam. Wie konnte ich nur so blind sein, dachte er.
»Aber das ist noch nicht alles«, fuhr Gunter fort, »Vater hat ihn als seinen Sohn anerkannt. Es ist in unserem Volk durchaus üblich, ein Königreich unter Brüdern aufzuteilen, manchmal sogar unter Vettern, obwohl ein Sohn meist Vorrechte gegenüber den anderen hat. Das wäre nicht weiter wichtig, wenn da nicht noch etwas wäre.«
»Was ... ?« Sigfrid dachte unwillkürlich: Hagen erinnert mich an Regin, und plötzlich hatte er die komische Vorstellung von Regin und Krimhild im Bett, und er mußte laut lachen. »Er ist doch wohl nicht Regins Sohn?«
Jetzt lachte Gunter laut heraus. »Der Zwerg ist zwar groß genug, um...« Sie lachten beide, aber dann wurde Gunter wieder ernst. »Na ja, du kommst der Sache schon näher, aber niemand außer Krimhild weiß, wer ... oder was der Vater ist. Giselhers Vater, unser Vetter, ist Christ, und als er betrunken war, hat er einmal gesagt, Hagen sei das Kind eines bösen Geistes. Weißt du, die Christen glauben an böse Geister. Aber Gudrun behauptet, gehört zu haben, daß ein Schwarzalb sein Vater ist. Krimhild ist nämlich früher in den Winternächten oft allein zum Rhein gegangen, um den Alben zu opfern. Vermutlich glauben das die meisten Leute. Aber es konnte nie bewiesen werden, daß Hagen nicht Gebikas Sohn ist. Das Seltsame war nur, daß meine Mutter auf dem Namen ›Hagen‹ bestanden hat. Erst ein paar Jahre nach Hagens Geburt kamen Zweifel auf, aber wir treten allen Gerüchten entgegen, die uns zu Ohr kommen. Ich hoffe, du wirst das von jetzt an auch tun.« Sigfrid nickte. Er löste die Bänder seiner Schuhe und tauchte die nackten Füße in das kühle Wasser der Quelle. »Ich glaube, das ist kein Grund, um sich Sorgen zu machen«, sagte er nachdenklich und fügte hinzu, »aber es stimmt. Als ich ihn zum ersten Mal sah, hatte ich...« Er dachte nach, um die richtigen Worte für seine Gefühle beim ersten Zusammentreffen mit Hagen im Gasthof zu finden. »Angst«, sagte Gunter und nickte, »so geht es den meisten.« Auch der Burgunder ließ die Füße ins Wasser hängen. »Nein, keine Angst«, widersprach Sigfrid. »Ich mag ihn, ich habe nur gespürt, daß er kein ... also, daß er irgendwie unheimlich ist.«
»Aber du wirst mit niemandem darüber reden.« »Wenn du es nicht willst. Ich finde ihn nett. Ich glaube, wenn Hagen nicht so ernst wäre, dann würde ihm das alles nichts ausmachen.«
»Noch etwas. Verrate ihm ja nicht, daß ich dir etwas gesagt habe. Wenn er es erfährt, ist er wütend auf mich. Dann wird er keine drei Worte mehr mit mir reden, solange wir hier sind. Es ist
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