Rheingold
Verrats
Denn sein Blick / ist getrübt wie sein Herz.
»Wie kann ich das Unheil verhindern?« fragte Sigfrid, »kann ich das Schicksal noch ändern?« Gripirs Stimme klang unbewegt, als er weitersprach.
Besser wäre / wenn Fafnir gewinnt
Die Todesstunde bringt die / Erlösung der Seele
Wenn Regin dich verrät / das Gold ihm gehört
Im Gift des Drachen / endet der Fluch.
Sigfrid saß wieder auf Granis Rücken in der
eisigen Kälte. Ein großer Stein war von dem
Grab gerollt. Gripir stand vor dem niedrigen
Eingang und sah ihn mit erloschenen Augen an. »Laß mich jetzt wieder ruhen, Sigfrid. Ich habe dir mehr gesagt, als gut ist. Sei zufrieden mit dem, was du weißt. Die Fäden des Schicksals sind zu verworren, um einem Menschen wie dir Klarheit zu verschaffen.«
»Wie kannst du jetzt schweigen?« rief Sigfrid aufgebracht. »Ich habe das Schwert meines Vaters, das schärfer ist als Stein. Wenn ich Regin nicht trauen kann und wenn ich den Kampf gegen Fafnir nicht überlebe, dann muß ich zuerst meinen Vater rächen!«
»Gut ist dein Herz, Sigfrid! Frei von Tadel deine Absichten, wenn du so dem Rat meiner Worte folgst. Vergiß nie: Das Schicksal liegt in deinen Händen, die Norne nimmt, was du ihr gibst, und spinnt den Faden, den du lebst.«
»Wenn das so ist, Gripir, du weiser Mann, dann zeige mir den Weg, um die Wälsungen von Wotans Fluch zu befreien. Zeige mir, wie ich das Schicksal in meine Hände nehmen kann.«
Langsam verschwand Gripir in seinem Grab. Sigfrid sprang vom Pferd, um ihm zu folgen. Als er mit Grani durch den Eingang trat, brannten dort so hell wie das Licht der Sonne Flammen in allen Regenbogenfarben.
Wotan legte um den / feurigen Ring seinen Schwur
Wer aber kann / sein Wirken verstehen?
Wie das Schwert zerbricht / auf seinem Speer,
So straft der Gott / zornig seine Kinder.
Sigfrid verstand Gripirs dunkle Worte nicht, aber vor ihm tat sich plötzlich eine große Halle auf. Goldene Schilde ruhten als Dach auf Säulen, die funkelnde Speere waren. Noch nie hatte er eine so große Halle gesehen. Auf ihrer ganzen Länge standen die Tore weit offen und boten den Blick auf ein weites grünes Land. Die Krieger auf den Bänken waren vom Kampf erschöpft und tranken Honigmet. Sigfrid kannte einige, denn sie waren aus Alprechts Gefolge. Neben dem leeren Ehrenplatz saß ein riesiger Adler, der die Männer aufmerksam beobachtete.
Ein graues Pferd mit zwei Reitern auf dem Rücken galoppierte durch das Land. Als sie näherkamen, sah Sigfrid, daß er selbst und die weiß gekleidete Frau mit dem Kettenhemd dort ritten. Sie lachte glücklich wie eine Braut an ihrem Hochzeitstag. Er trug eine purpurrote mit Gold bestickte Tunika, und auf seinem Kopf lag ein goldener Reif.
Aber der Sigfrid auf dem Pferd war älter als er. Er hatte breitere und kräftigere Schultern und einen kurzen, dichten Bart.
»Ja, so soll es sein!« rief Sigfrid, »ja, ich will mit ihr in dieser Halle leben!«
Die Vision verschwand, und Gripir erschien.
Er stieß seinen Stab dreimal auf den gefrorenen Boden. Das Eis klirrte und knirschte wie am Anfang des Sommers, wenn der Schnee zu schmelzen beginnt.
Dein Schicksal wird / sich in den Welten erfüllen
Noch kannst du es wenden / noch liegt es bei dir
Hüte dich vor den Zwergen / und vor Lokis Listen
Der Trank raubt die Erinnerung / weil du gefehlt.
»Wie kann ich deine Worte verstehen?« fragte Sigfrid. Aber als Gripir nur stumm den Kopf schüttelte und sich langsam umdrehte, sagte Sigfrid: »Aber wenn ich das bekomme, was du mir gezeigt hast, dann ist das genug für mich.« Er sah nicht mehr die Wurzeln des Baums, nicht mehr den tiefen Brunnen und die Halle über dem schönen weiten Land. Das rote Licht über dem Grabhügel verblaßte langsam. Die Kälte nahm wieder zu, Hände und Gesicht wurden gefühllos. Die Schwärze der Nacht schien einem neuen Morgen zu weichen. Sigfrid wußte, ihm blieb nur noch wenig Zeit, um Gripir etwas zu fragen. Er rief mit von Eis erstarrten Lippen: »Gripir, höre mich, denn nur deine Weisheit kann mir helfen. Was wird aus Gudrun und den Gebikungen werden? Wie soll mein Schicksal mit ihnen verbunden sein?«
Gripirs Stimme klang leise und leblos. Aus dem Grab kam mit den Worten der modrige Geruch der Verwesung.
Gudrun, Hagen / und Gunter sind verfallen
Den Künsten der Macht / den dunklen Kräften.
Die Sippe ihrer Mutter / sieht deinen Tod
Drei Frauen nehmen die Fäden / und spinnen sie.
Unheil trifft deine Sippe! / Kein König
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