Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
Vom Netzwerk:
herunter. Ein Rabe flog schwarz über ihnen durch den dichten Regen. »Schneller!« rief Sigfrid dem Hengst zu und fragte dann Geitrich: »He, Ziegenhirt, lebst du noch?« Er schlug ihm auf den Rücken und rümpfte die Nase über den widerlichen Gestank. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß dieser seltsame Ziegenhirt eine halb verweste Leiche war. Angewidert warf er den Toten in die schwarze Nacht. Grani wieherte laut und galoppierte immer schneller, während Blitze, auf die seltsamerweise kein Donner folgte, über ihren Köpfen zuckten. Der Wind trieb ihnen dunkle Blätter entgegen, die wie unheimliche Wesen an Sigfrids Gesicht vorbeiwirbelten. Der zuckende grelle Lichtschein, der die Schwärze der Nacht immer häufiger durchbrach, machte ihn blind. Wie eine innere Landschaft glaubte er ein lebloses Land mit bizarren Felsen zu sehen, die sich drehten und wanden wie unzählige steinerne Schlangen. Sie hoben drohend ihre geblähten Köpfe und Leiber und schienen sich auf ihn stürzen zu wollen. Aber Sigfrid warf furchtlos den Kopf zurück und rief in den Sturm: »Schneller!« Und als weit voraus das Echo seiner Stimme hallte, schrie er: »Gripir! Hörst du mich? Ich bin es, der Sohn der Herwodis!« Im Blitzschein zuckte ein hoher Felsen vor ihm auf, der bis in den Himmel zu reichen schien. In der glatten steinernen Wand sah er einen schwarzen schmalen Spalt. Er beugte sich vor, legte die Arme fest um Granis Hals, und der graue Hengst sprang mit einem riesigen Satz in die Dunkelheit. Vom Sturm getragen, schienen sie durch die Luft zu schweben, aber im nächsten Augenblick landeten Granis Hufe wieder auf dem Boden.
    Vor sich sah Sigfrid den rotgoldenen Schimmer eines Feuers, das keine Schatten warf. Unter den züngelnden gespenstischen Flammen zeichnete sich ein dunkler Grabhügel ab. Sigfrid ritt langsam auf das unheimliche Grab zu, während der Regen immer eisiger wurde, je näher er kam. Granis Mähne erstarrte unter
    seinen Händen, und auch Sigfrids Haare wurden zu Eis.
    »Gripir!« rief Sigfrid, »Bruder meiner Mutter, erscheine! Awilimos Sohn, wenn du mehr bist als ein Skelett, wach auf! Sigfrid, deiner Schwester Sohn, ruft dich!«
    Aus dem Grabhügel ertönte eine sehr tiefe Stimme. Die Worte hallten hohl und dumpf durch das tote Land: »Was ist dein Begehr, Sigfrid? Schon viel früher hättest du zu diesem Grab kommen müssen, denn du weißt nichts und müßtest so viel wissen.«
    »Wenn du so klug bist, Gripir, dann sag mir, was du weißt. Sag mir, wie die Norne mein Schicksal gesponnen hat.«
    »Dummer Junge«, antwortete leise die Stimme, »warum sollte ich zu dir sprechen? Du wirst meine Worte ohnehin nicht gerne hören. Geh, Sohn der Herwodis, und erinnere meine Schwester daran, mich nicht zu vergessen, wenn sie den Geistern unserer Sippe Bier opfert. Ihr Lebenden, vergeßt die Toten nicht! Bringt Fleisch und Wein zu meinem Grab, denn dann wird auch mein Segen euch sicher sein.«
    »Ich bin nicht gekommen, um von meinem Onkel wieder weggeschickt zu werden!« rief Sigfrid. »Öffne das Tor zu deiner Halle, Gripir. Ich möchte dir ins Gesicht sehen. Ich habe keine Angst vor einem Toten.«
    Das schattenlose Feuer über dem Grab bündelte sich in einer roten Flamme, die aus der Mitte aufzusteigen schien. Eine dunkle Gestalt löste sich aus dem unwirklichen Feuer, während das Grab verschwand. Sigfrid sah nur noch einen schattenhaften, großen schlanken Mann. Er trug ein Schwert um die Hüfte und stützte sich auf einen knorrigen Stab.
    »Du hast den Weg zu mir gefunden, und Hellas Tore stehen offen«, sagte Gripir. Seine tiefe Stimme hallte, als spreche er vom Boden eines tiefen Brunnens. »Du stehst an der Pforte. Willst du dich wirklich weiter wagen, Sigfrid? Überleg dir den nächsten Schritt gut, denn dann ist es zur Umkehr zu spät...«
    Das Echo verhallte. Grani schnaubte und scharrte mit den Hufen. Sigfrid blickte furchtlos auf die dunkle Gestalt. Beim Näherkommen flackerten grüne Flammen auf, und die Gestalt zerfloß wie grüne Wellen in klarem Wasser.
    »Gripir, sag mir, was die Zukunft mir bringt. Bei Wotan, Wili und Wih, du mußt mir antworten, ehe ich dich wieder in deinem Grab ruhen lasse.«
    Diesmal kam die Stimme von oben wie aus weiter Ferne: »Bedenke, daß meine Worte dir zum Unheil werden können!«
    »Ich fürchte das Unheil nicht. Sage, was du sagen mußt. Ich bin für alles bereit.«
    Ein heftiges Brausen ertönte, und Wasser schien gegen Steine zu schlagen. Sigfrid war plötzlich von

Weitere Kostenlose Bücher