Rheingold
auf seine Füße. »Wenn ich glauben könnte, daß du es allein schaffst, säße ich jetzt in meiner Schmiede.« Er seufzte und starrte finster auf den Rhein. »Habe ich dir je gesagt, wie ungern ich auf dem Wasser bin?«
»Ich bin wirklich froh, daß du hier bist.«
Regin ging wortlos zu den Fässern hinüber und füllte seinen Becher mit Bier. Dann setzte er sich auf eine der Bänke und leerte den Becher langsam. Das Wetter blieb während der ganzen Rheinfahrt ruhig. Der Wind trieb die Schiffe schnell vorwärts. Bald konnten die jungen Männer mit den Schiffen ebensogut umgehen wie die erfahrenen Alten. Sie segelten geschickt und mit sichtlichem Vergnügen in der Strömung und zwischen den Felsen und Klippen hindurch, wie sie sonst mit den Pferden durch den Wald ritten. Die Schiffe ließen die Berge der Alemannen hinter sich. Sie kamen am roten Sandstein von Worms vorbei und fuhren zwischen den niederen Bergen und Hügeln des Frankenlandes entlang. Vom Fluß aus sah das Land anders aus. Sigfrid suchte die rotgoldenen Hügel nach den ihm bekannten Merkmalen ab, aber er konnte nicht genau sagen, wann sie an der Stelle vorüberkamen, wo hoch in den Bergen Regins alte Schmiede lag.
Gegen Abend fiel ihm auf, wie seine Männer unruhig wurden. In der Luft lag unverkennbar eine Spannung wie vor einer Schlacht. Sigfrid hatte das Gefühl, als könne die Flotte jeden
Augenblick von einem Pfeilhagel getroffen werden.
Regin faßte ihn plötzlich am Ellbogen und deutete auf die Ostseite des Rheins. »Dort oben«, flüsterte er, aber der Zwerg senkte den Kopf und starrte auf die Schiffsplanken. »Wenn du kannst, sieh hin! Dort drüben kommt Fafnir hinunter zum Fluß, denn auch er muß seinen Durst mit Wasser löschen.«
Sigfrid hatte das Gefühl, ein schwerer Helm drücke ihm den Kopf nach unten. Er zwang sich, die Augen nicht zu schließen, und blickte zu dem Felsen am anderen Ufer hinüber - aus einer dunklen Höhle zog sich eine eingebrannte Schleifspur den Abhang hinunter. Als ihm die Hände zitterten, legte er sie um den glatten Kristall von Grams Griff. Seine Kraft kehrte augenblicklich zurück, und er sah ein gespenstisches Leuchten in Fafnirs Höhle. Erst als der Drachenfels außer Sichtweite war, drehte Sigfrid den Kopf zur Seite und ließ das Schwert wieder los.
*
Der Strom wand sich durch das Flachland nach Westen, und schließlich erreichten sie im ersten Morgenlicht die Nordsee. Sigfrid blickte verschlafen auf die endlose grüngraue Fläche in der Ferne hinter dem Marschland und hielt sie für eine Wiese, bis hinter ihm jemand rief: »Das Meer!« Eine Schar aufgeschreckter Gänse stieg aus den Binsen auf und flog schnatternd
über die Schiffe hinweg. »Ist das groß«, sagte Perchtwin leise. »Ich hätte nie geglaubt, daß es so groß sein kann.. .« Der Wind kam in Böen und trug den Geruch von Salz und totem Fisch zu ihnen; der Drachenbug hob und senkte sich in den Wellen, und das Schiff begann zu schwanken. Perchtwin zog den Umhang enger um die Schultern und putzte sich mit dem Saum die Nase.
»Ja, hier fängt der Spaß erst richtig an«, sagte Harprecht. Er legte den Kopf schief und blickte nachdenklich zu den dünnen Wolken hinauf, die wie Federn den blauen Himmel bedeckten. »Sieht ganz so aus, als dauert es nicht mehr lange, bis wir anfangen, richtig zu schaukeln. Was meinst du, Sigfrid? Sollten wir nicht eine Weile hierbleiben?«
»Warum?«
»Siehst du die kleinen Fuchsschwanzwolken dort oben? Siehst du, wie schnell sie ziehen? Sie laufen vor einem großen Wolf davon, vor einem wilden Sturm, der gierig auf Schiffe ist. Er zieht nicht in die Richtung, in die wir wollen. Wenn wir uns in seine Fänge wagen, könnte es sein, daß wir in Britannien oder in Gotland landen, vielleicht sogar in Nibelheim.«
Sigfrid starrte auf das weite Meer, das sich vor ihnen öffnete. Sie waren inzwischen nahe genug, um die kleinen, schaumgekrönten Wellen zu sehen. Die weiße Gischt schäumte, als sei das Meer ein Kessel Bier, das vom Wind aufgerührt wurde. Der Wind hatte gedreht und trieb die Schiffe schnell vorwärts. Sigfrid hob den Kopf und blickte auf die dünnen zerfetzten Wolken, die der Sturm vor sich her blies. Aus dem Augenwinkel sah er plötzlich etwas Weißes aufblitzen. Er drehte den Kopf: Drei Schwäne flogen quer zum Wind in Richtung Norden. Ihre großen Schwingen schlugen kraftvoll, aber unhörbar im lauten Wind. Bei diesem Anblick durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Tränen brannten in seinen
Weitere Kostenlose Bücher