Rheingold
Augen. Er legte die Hand auf den Kristall am Griff seines Schwertes. »Hier können wir nicht bleiben, aber ich werde nicht umkehren«, erwiderte er leise. »Wir müssen uns jedem Sturm und Kampf stellen! Das habe ich euch allen im heiligen Hain gesagt.«
»Jedem Sturm und Kampf«, murmelte Harprecht und senkte rasch den Kopf, um Sigfrids Blick auszuweichen.
Die Wellen, die vom Fluß aus flach gewirkt hatten, hoben den Drachenbug hoch in die Luft, und dann sank er tief ins nächste Wellental. Das Schiff schaukelte und schlingerte. Die Männer wurden wie Strohpuppen hin und her geworfen. Die älteren dachten an die Fahrten ihrer Jugend und waren besser vorbereitet, aber die jüngeren hatten sich so etwas nicht vorstellen können. Klodmar klammerte sich mit ganzer Kraft an das Ruder; das Schiff drehte ab, weil er es mit dem Gewicht seines Körpers herumzog, bis Sigfrid sich schließlich mühsam zu ihm vorarbeitete und ihn stützte, so daß sie wieder einen geraden Kurs durch die langen Wellen steuerten. Weiße Gischtfontänen schossen zu beiden Seiten des spitzen Schiffsbugs empor, und salzige Schauer prasselten auf sie nieder. Sigfrid konnte den Blick nicht von den Wellen wenden und sang leise vor sich hin: »Hei, Meerespferd mit der Mähne aus Schaum...« Er hatte keine Angst, sondern freute sich über das ständige Auf und Ab und überließ sich dem Rhythmus der Wellen, so wie er sich von Grani hatte tragen lassen. Die jüngeren Gefolgsleute klammerten sich an die Bordwand. Perchtwin hielt den Kopf über die Reling, um sich zu übergeben. Das Rauschen und Klatschen der Wellen übertönte alles. Sigfrid löste Klodmar am Ruder ab; der rothaarige junge Mann stolperte und rutschte auf der Suche nach einem sicheren Platz über das Schiff. Sigfrid winkte Harprecht zu sich.
»Wie kann ich abdrehen?« rief er und warf einen Blick über die Schulter zurück auf die anderen Schiffe, die in der Flußmündung auf den Wellen tanzten.
»Im Augenblick nicht. Warte ... aha, da kommen die anderen!«
Harprecht nahm Sigfrid das Ruder aus der Hand und steuerte das Schiff weiter aufs Meer hinaus. Eine große Welle traf Paltwins Schiff längsseits, und es wäre bei dem Aufprall beinahe gekentert. Sigfrid biß sich auf die Lippen und beobachtete mit angehaltenem Atem, wie das Schiff sich langsam wieder aufrichtete und beidrehte. »Gute Arbeit!« rief Harprecht. »Kein Mann ist über Bord. Wer um diese Zeit ins Wasser fällt und nicht sofort herausgezogen wird, stirbt vor Kälte. Bist du sicher, daß du weitersegeln willst?«
»Ja.«
Regin, der sich am Mast festklammerte, winkte Sigfrid zu sich. »Du kannst jederzeit noch umkehren«, brummte er. »Das ist doch Unsinn. Willst du, daß wir alle umkommen?« Der Zwerg klapperte mit den Zähnen. Sigfrid konnte nicht sagen, ob vor Kälte oder aus Angst. Er nahm seinen Mantel ab und legte ihn um Regins Schultern. »Verkriech dich zwischen den Fässern. Dann mußt du nicht dauernd auf das Wasser sehen und bist wenigstens etwas geschützt«, sagte er. »Kannst du nicht ein paar Tage warten, bis der Sturm vorüber ist? Dann kommst du auch noch dorthin, wohin du willst«, erwiderte Regin aufgebracht.
»Wahrscheinlich hast du recht, aber wir segeln weiter.« Sigfrid half Regin über das schwankende Schiff. Regin zwängte sich zwischen zwei Bierfässer, hüllte sich in seinen und Sigfrids Mantel. Dann knurrte er: »Nur zu! Meinetwegen, laß uns alle ersaufen.«
»Du hättest ja nicht mitkommen müssen«, erwiderte Sigfrid fröhlich.
Inzwischen hatten alle Schiffe das Meer erreicht. Sigfrid signalisierte den Kapitänen den Kurs nach Norden.
Paltwin hob zum Zeichen, daß er verstanden hatte, den Arm; Adalprant, Kunitrut und Anselm gaben das verabredete Zeichen. Dann brachten sie ihre Schiffe mühsam auf Kurs. Der Wind war stärker geworden, zerrte an Sigfrids zusammengebundenen Haaren und peitschte eisig sein Gesicht, bis sich seine Wangen röteten. Er übernahm das Ruder wieder von Harprecht und steuerte das schlingernde Schiff durch die hohen Wellen. Über ihm schrie eine Möwe. Sigfrid kam plötzlich der Gedanke, daß ein Vogel, der vom Wind emporgehoben und getragen wurde, das Fliegen ähnlich empfinden mußte wie er das Segeln. Ja, er hatte sich dem Wasser anvertraut und überließ sich den Wellen, als fahre er seit Jahren über das Meer. Er lachte und blickte zurück zum Festland, das bereits hinter einer schwarzen Wolke am Horizont verschwand.
Es war schwierig, quer zum Wind zu
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